Töchter des Mondes - Sternenfluch (German Edition)
Kanne dampfender Tee steht zwischen uns auf dem Tisch. Cora hat sich selbst bereits eine Tasse eingeschenkt und gießt jetzt auch mir ein.
»Du kannst gehen, Sophia. Danke dir«, sagt sie.
Sophia schlüpft aus dem Zimmer und lässt uns im Halbdunkel zurück. Die Gaslampe auf Coras Schreibtisch wirft nur einen kleinen Lichtkegel, der uns nicht ganz erreicht.
»Sophia sagte, du hättest angeboten, mich zu heilen, Catherine.« Cora trägt einen kornblumenblauen Morgenrock, über ihrem Schoß liegt eine weiße Decke. Das Haar fällt ihr in einem langen Zopf über die rechte Schulter. »Ich bin dir dafür sehr dankbar. Schon ein paar Stunden wieder klar denken zu können, wäre eine große Hilfe.«
Panik steigt in mir auf. »Ich habe die Grenzen meiner Heilkunst noch nicht herausgefunden. Vielleicht …«
Cora schüttelt den Kopf. »Du sollst meinetwegen nicht deine Grenzen überschreiten. Ich bin bereit zu sterben, so weit eine Frau dazu breit sein kann. Ich hoffe bloß auf ein paar Stunden ohne große Schmerzen, um meine Angelegenheiten regeln zu können.« Sie setzt ihre Tasse ab und hält mir die Hand hin, die Handfläche nach oben gewendet. Es ist alles sehr geschäftsmäßig: ticktack, keine Zeit verschwenden.
Ich umfasse ihre Hand, die weich und immer noch warm vom Tee ist. Meine Magie schreckt vor der Krankheit in ihr zurück.
Ich umklammere ihre Hand fester und denke daran, wie sehr wir Schwester Cora brauchen.
Ich bin noch nicht bereit, die Führung zu übernehmen. Tess ist auch noch nicht bereit.
Sie braucht Zeit. Wir brauchen Zeit.
Ich lasse meine Magie fließen, und der Schmerz ist unmittelbar und durchdringend.
Ich keuche, krümme mich, und mein Magen krampft sich zusammen. In meinem Kopf verschwimmt alles; mir ist heiß und schlecht. Aber ich kämpfe weiter gegen die Krankheit in ihr an. Ich denke an die Mädchen – die hochnäsigen wie Alice, ehrgeizige wie Maura, die süßen wie Lucy und die verzweifelten wie Rory. Schwester Cora rettet jedes Jahr ein halbes Dutzend Mädchen vor den Brüdern. Das ist doch Grund genug, für sie zu kämpfen, oder nicht?
Mehr als genug.
Der Schmerz fühlt sich an wie tausend Messerstiche in meinem Magen, in meinem Kopf.
Es ist viel schlimmer als der stechende Schmerz damals, als ich von der Mauer des Schweinestalls gefallen bin und mir das Fußgelenk verstaucht habe. Viel schlimmer als jeder körperliche Schmerz, den ich jemals durchlitten habe.
Mein Blick ist verschwommen, von Dunkelheit umflort, aber ich mache weiter. Ich spüre, dass die Magie wirkt, fühle, wie die Krankheit sich fortstiehlt, schrumpft, sich in ihr dunkles Versteck zurückzieht.
Schließlich spreche ich es laut aus. Es ist ein Keuchen, ein Zauberspruch, ein Schluchzen. Sie darf nicht sterben. Noch nicht.
Die Magie springt von meinem Körper in den ihren über und lässt mich leer, ausgewrungen und von Übelkeit erfüllt zurück. Meine Wirbelsäule ist nur noch ein substanzloses, gummiartiges Ding. Ich falle zur Seite, ihre Hand entgleitet mir. Ich höre auf zu kämpfen.
Mit dem Kopf auf dem Teetisch erwache ich wieder. Das Erste, was ich sehe, ist eine Teetasse. Dann erblicke ich Schwester Coras Silberringe, die das Licht der Lampe reflektieren, während Cora ein Fläschchen Riechsalz unter meine Nase hält. Ich will mich schon über den furchtbaren stechenden Geruch beschweren, aber ich habe Angst, dass ich mich übergeben muss, wenn ich den Mund aufmache. Also sage ich nichts, sondern setze mich einfach nur auf.
Cora kniet neben mir. Ihre Wangen sind jetzt etwas rosiger. »Geht es dir gut?«, fragt sie.
Ich nicke, die Hand abwehrend gehoben, und warte darauf, dass die Übelkeit verschwindet.
»Das war wirklich außergewöhnlich«, sagt sie und erhebt sich. Unter ihrem blauen Rocksaum schauen ihre nackten Füße hervor. »Ich fühle mich fast wieder wie ich selbst.«
Ich darf ihr keine falschen Hoffnungen machen. Vielleicht weiß sie es nicht, aber …
»Es tut mir leid, ich konnte …«
»Wage es nicht, dich zu entschuldigen. Du hast mir genau das gegeben, worum ich dich gebeten habe, und – lass dir das nicht zu Kopf steigen, aber mir geht es zehnmal besser als nach Sophias Besuch. Mir geht es so gut wie vor zwei Monaten.« Cora hebt die weiße Decke vom Boden auf und faltet sie zusammen. »Was du getan hast, war absolut selbstlos.«
Wenn ich mich nicht fühlte, als wäre ich gerade von einem Pferdegespann überrollt worden, würde ich jetzt lachen. In letzter Zeit wurde mir
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