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Töchter des Windes: Roman (German Edition)

Töchter des Windes: Roman (German Edition)

Titel: Töchter des Windes: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Roberts
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Ausrede erfunden, um nicht mitzugehen, Kopfweh und Müdigkeit vorgeschützt, wäre Gray nicht so aufgeregt gewesen bei der Aussicht darauf, daß sie Arlene nun endlich traf.
    Sie beobachtete, wie er einem Mann, der an einer Hauswand lehnte, beiläufig einen Schein in die Blechschale warf. Das tat er jedesmal, wenn er einem Bettler begegnete. Egal, was auf den handgemalten Schildern stand —obdachlos, arbeitslos, Vietnamveteran —er zog umgehend seine Brieftasche hervor.
    Er war ein aufmerksamer Mensch, dachte sie. Ihm blieb nie etwas verborgen, er schien einfach alles zu sehen. Und diese bescheidenen Gesten der Freundlichkeit gegenüber Fremden, deren bloße Existenz andere Menschen bereits zu leugnen schienen, waren ein untrennbarer Teil von ihm.
    »He, Kumpel, brauchste vielleicht ’ne Uhr? Ich hab’n paar nette Teile. Nur zwanzig Mäuse das Stück.« Ein schlanker schwarzer Mann öffnete eine Aktentasche und stellte eine ganze Sammlung von Gucci- und Cartier-Imitationen zur Schau. »Ich hab ’ne echt schöne Uhr für die Lady da.«
    Zu Briannas Entsetzen blieb Gray tatsächlich stehen. »Ach ja? Funktionieren die auch?«
    »He.« Der Mann grinste. »Was hältst du von mir? Auf die Minute genau, Mann. Und seh’n genauso aus wie die, für die man in der Fifth tausend Dollar bezahlt.«
    »Zeig mal her.« Während Brianna mit zusammengebissenen Zähnen danebenstand, wählte Gray eine der Uhren aus.
So, wie die Augen des Kerls unablässig von links nach rechts wanderten, kam er ihr gefährlich vor. »Und, kriegst du oft Ärger hier?«
    »Ne. Ich hab’n guten Ruf. Das hier is’n schönes Teil, echte Qualitätsarbeit, steht der Lady bestimmt nicht schlecht. Zwanzig Piepen, un’ sie gehört dir.«
    Gray schüttelte die Uhr und hielt sie an sein Ohr. »Wunderbar.« Er gab dem Mann einen Zwanziger. »Eben hab ich ein paar Bullen gesehen, die in diese Richtung gingen«, sagte er leise und zog Briannas Hand durch seinen Arm.
    Als sie sich noch einmal umblickte, war der Mann nicht mehr da.
    »Waren die Uhren gestohlen?« fragte sie erschreckt.
    »Wahrscheinlich nicht. Hier, bitte sehr.« Er legte die Uhr um ihr Handgelenk. »Vielleicht geht sie nur einen Tag — vielleicht aber auch ein Jahr. Das weiß man nie so genau.«
    »Warum hast du sie dann gekauft?«
    »He, von irgendwas muß der Kerl doch leben, meinst du nicht? Ah, hier ist auch schon das Restaurant.«
    Der Anblick der eleganten Fassade beeindruckte sie derart, daß sie am Ärmel seiner Anzugjacke zupfte, damit er stehenblieb. Sie kam sich linkisch, allzu ländlich und lächerlich vor mit ihrer I-Love-New-York-Tasche, in der sie die Andenken vom Empire State Building bei sich trug.
    Unsinn, schalt sie sich. Sie hatte ständig mit neuen Menschen zu tun, und sie hatte Spaß daran. Das Problem bestand einfach darin, daß Gray sie ausgerechnet ins Four Seasons schleppte und daß es dieses Mal eine von seinen Bekannten war.
    Sie versuchte, nicht allzu ehrfürchtig zu starren, als er mit ihr die Stufen zum Eingang erklomm.
    »Ah, Mr. Thane«, wurde er vom Empfangschef freundlich begrüßt. »Es ist lange her, seit Sie das letzte Mal hier gewesen sind. Mrs. Winston ist bereits da.«
    Sie durchquerten den Raum mit seiner langen, blankpolierten Bar und gingen an den bereits größtenteils mit Essensgästen besetzten, elegant gedeckten Tischen vorbei, bis sich an einem der letzten Tische eine Frau grüßend erhob.
    Brianna sah ein elegantes rotes Kostüm, blitzendes Gold an Aufschlägen und Ohren, kurzes, glattes blondes Haar und ein fröhliches Lächeln, ehe die Person in Grays begeisterter Umarmung regelrecht verschwand.
    »Schön, dich zu sehen, meine Liebe.«
    »Mein Lieblingsglobetrotter.« Ihre Stimme war rauchig, mit einer Spur von Kratzigkeit.
    Arlene Winston war winzig, kaum einen Meter fünfzig groß, und ihrer athletischen Figur war das regelmäßige sportliche Training anzusehen. Gray hatte gesagt, daß sie bereits Großmutter war, aber sie hatte kaum Falten, und ihre lohfarbenen Augen bildeten einen lebendigen Kontrast zu ihrem weichen, ja beinahe zarten Gesicht. Einen Arm immer noch um Grays Hüfte gelegt, reichte sie Brianna die andere Hand.
    »Und Sie sind Brianna. Willkommen in New York. Ich hoffe, der Junge sorgt dafür, daß es ein schöner Urlaub ist.«
    »Das tut er, allerdings. Es ist eine wunderbare Stadt. Freut mich, Sie kennenzulernen, Mrs. Winston.«
    »Arlene.« Sie legte auch ihre andere Hand um Briannas Finger und tätschelte sie kurz.

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