Töchter des Windes: Roman (German Edition)
sagte Iris, als sie zu Gray in die Küche kam. »Wie schön für sie. Nichts hebt die Stimmung einer Frau mehr, als wenn sie ihr Geld für irgendwelchen Firlefanz zum Fenster hinauswerfen kann.«
Er konnte sich nicht vorstellen, daß die praktische Brianna irgendwelchen Firlefanz erstand. »Sie ist mit ihrer Schwester nach Galway gefahren. Ich habe ihr gesagt, wir kämen schon zurecht, falls sie es nicht schafft, zum Tee zurück zu sein.« Gray, der die Rolle des Hausherrn durchaus genoß, häufte die von Brianna vorbereiteten Köstlichkeiten auf drei Teller auf. »Außer uns dreien ist heute abend sowieso niemand da.«
»Dann können wir es uns ja richtig gemütlich machen.« Iris stellte die Teekanne auf den Tisch. »Sie hatten ganz recht, sie zu überreden, daß sie mal einen Tag mit ihrer Schwester genießt.«
»Ich mußte sie regelrecht zu ihrem Wagen zerren — am liebsten ginge sie nie von zu Hause fort.«
»Weil sie hier verwurzelt ist. Und diese Wurzeln machen sie zu einer blühenden jungen Frau. Sie erblüht hier ebenso wie ihre Blumen da draußen. In meinem ganzen Leben habe ich keinen vergleichbaren Garten gesehen. Erst heute morgen habe ich —ah, da bist du ja, Johnny. Gerade rechtzeitig.«
»Ich habe einen herrlichen Spaziergang gemacht.« Carstairs hängte seinen Hut an der Garderobe auf und rieb sich die Hände. »Meine Liebe, wußtest du, daß sie hier noch ihren eigenen Torf stechen?«
»Was du nicht sagst.«
»In der Tat. Ich habe das Moor entdeckt. Überall waren große Torfbrocken übereinandergeschichtet, die man offenbar im Wind und in der Sonne trocknen läßt. Ich hatte das Gefühl, als wäre ich plötzlich um hundert Jahre zurückversetzt.« Er zwickte seiner Frau liebevoll in die Wange, ehe er sich die Leckereien auf dem Tisch ansah. »Ah, was haben wir denn da?«
»Wasch dir die Hände, Johnny, und dann trinken wir gemütlich Tee. Ich schenke schon ein, Gray. Setzen Sie sich einfach hin.«
Da Gray das Zusammensein mit den beiden und ihren Umgang miteinander sehr genoß, zog er sich ohne Widerspruch einen Stuhl heran. »Iris, ich hoffe, Sie sind mir nicht böse, wenn ich Ihnen eine Frage stelle.«
»Lieber Junge, Sie dürfen mich fragen, was immer Sie wollen.«
»Vermissen Sie es?«
Sie tat nicht so, als verstünde sie ihn nicht, und während sie ihm den Zucker reichte, antwortete sie: »Allerdings. Manchmal vermisse ich es. Dieses Gefühl, irgendwie ständig auf der Kippe zu stehen, war immer sehr erfrischend für mich.« Sie versorgte erst ihren Gatten und dann sich selbst mit Tee. »Und Sie?« Als Gray eine Braue nach oben zog, kicherte sie. »Ich denke, daß ein Gauner den anderen immer erkennt.«
»Nein«, sagte Gray nach einer Pause. »Ich vermisse es nicht.«
»Nun, Sie haben sich relativ früh zur Ruhe gesetzt, so daß ich denke, daß Sie dieser Zeit vielleicht gefühlsmäßig nicht so verbunden sind. Oder vielleicht doch, und vielleicht ist genau das der Grund, weshalb von Ihren persönlichen Erfahrungen, wenn ich es so nennen darf, nie etwas in Ihren Büchern zu finden ist.«
Er zuckte mit den Schultern und hob seine Tasse an den
Mund. »Vielleicht sehe ich einfach keinen Sinn darin zurückzuschauen.«
»Ich denke, daß man nie einen Blick für die Zukunft bekommt, wenn man nicht hin und wieder über die eigene Schulter blickt.«
»Ich mag Überraschungen. Wenn ich heute bereits weiß, was morgen ist, was gibt es dann noch Neues für mich?«
»Das Neue und Überraschende an der Zukunft ist, daß sie nie genau so verläuft, wie man es sich denkt. Aber Sie sind noch jung«, sagte sie und sah ihn mit einem mütterlichen Lächeln an. »Und eines Tages werden Sie selbst dahinterkommen, daß es so ist. Benutzen Sie eine Karte, wenn Sie auf Reisen sind?«
»Natürlich.«
»Tja, sehen Sie, das ist dasselbe. Man kann seine Vergangenheit, seine Gegenwart und seine Zukunft als Teil einer bestimmten Wegstrecke sehen.« Die Unterlippe zwischen die Zähne geklemmt, gab sie genau einen Viertel Löffel Zucker in ihren Tee. »Man kann diese Strecke planen. Und manche Menschen weichen nie von dieser einmal geplanten Route ab. Keine Abstecher, um eine kleine Straße zu erkunden, keine ungeplanten Aufenthalte, damit man einen besonders hübschen Sonnenuntergang genießen kann. Bedauerlich«, sagte sie. »Und oh, wie sich diese Menschen beschweren, wenn sie zu einem Umweg gezwungen sind. Aber die meisten von uns genießen die kleinen Abenteuer, die man unterwegs erleben kann. Die
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