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Tödlich ist die Nacht

Tödlich ist die Nacht

Titel: Tödlich ist die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T Hoag
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will?«
    »Stell dich nicht an, Parker. Mach schon.«
    Er hievte sie hoch, bevor sich die Türen öffneten und die Spitze der Prozession ins Freie trat: Norman Crowne mit einem Tross von Anwälten, Assistenten und Leibwächtern.
    Crowne war während der unzähligen Anhörungen vor dem eigentlichen Prozess regelmäßig im Gericht aufgekreuzt. Selbst während der Vereidigungen, als niemand von seiner Seite im Gerichtssaal anwesend sein durfte, hatte er sich im Gerichtsgebäude blicken lassen, weil er es seiner geliebten Tochter schuldig zu sein glaubte.
    Parker hatte ihn in Interviews im Fernsehen gesehen – ein würdevoller, zurückhaltender Mann, dessen Kummer deutlich spürbar war. Es war ergreifend, ihn dabei zu beobachten, wie er Fragen beantwortete und über Tricia sprach. Seine Gefühle wirkten nicht aufgesetzt oder gespielt oder unehrlich. Sie waren echt, und es war unschwer zu erkennen, dass ihm öffentliche Auftritte nicht lagen, wie er ungeschickt und ohne großen Erfolg versuchte, die schlimmsten Wunden hinter einer stolzen Haltung zu verbergen.
    Es war schlechthin nicht vorstellbar, dass er in irgendeiner Beziehung zu jemandem wie Eddie Davis stand oder es nötig hatte, Schweigegeld an einen Winkeladvokaten wie Lenny Lowell zu zahlen.
    An seinem Arm: seine Enkelin Caroline, in einem strengen kleinen Kostüm, dessen Jacke so geschnitten war, dass sie ihre überzähligen Pfunde kaschierte. Parker wusste genug über die menschliche Psyche, um sich darüber im Klaren zu sein, dass die Vorstellung, Caroline könnte sich in ihren Stiefvater verliebt haben, nicht so weit hergeholt war, wie es auf den ersten Blick vielleicht schien.
    Carolines biologischer Vater, ein nichtsnutziger Vollidiot nach allem, was man hörte, war schon früh aus ihrem Leben verschwunden und hatte an der Stelle, an der ein Vater hätte sein sollen, eine Lücke hinterlassen, und eine verworrene Vorstellung davon, was eine gute Beziehung ausmachte. Als Caroline dann in die Pubertät kam und wie jedes Mädchen mit ihren Hormonen zu kämpfen hatte und ein Gefühl für die eigene Sexualität zu entwickeln begann, war Rob Cole auf der Bildfläche erschienen, um die arme Tricia aus ihrer Einsamkeit zu befreien.
    Er hatte hinter das unscheinbare Äußere geblickt, das merkwürdig gehemmte Wesen, direkt auf die Milliarden im Hintergrund. Aber er hatte die Rolle des Charmeurs so überzeugend gespielt, dass ihn jeder deswegen gemocht hatte. Das Leben war ein Märchen.
    Es war nicht schwer, sich vorzustellen, dass auch Caroline an dieses Märchen geglaubt hatte oder dass sie sich tatsächlich in ihren Stiefvater verliebt hatte. Er war zu dieser Zeit immerhin noch ein richtiger Herzensbrecher gewesen.
    Psychologen behaupteten ja, dass Mädchen mit den Müttern immer in einem Konkurrenzkampf um die Aufmerksamkeit ihres lieben Papas stehen. Wenn nun aber der liebe Papa eine schwache, narzisstische, unmoralische Borderline-Persönlichkeit war, waren die Schwierigkeiten unausweichlich.
    Ein paar Schritte hinter Caroline und ihrem Großvater kam Norman Crownes Sohn Phillip. Der Kümmerling in der Familie. Schon der alte Mann war von schlanker Statur, aber der Sohn wirkte regelrecht schmächtig, dünn und farblos, mit dünnem, farblosem Haar.
    Er war Vizepräsident von Crowne Enterprises, zuständig für das Zählen der Büroklammern oder etwas in der Art. Norman war nach wie vor derjenige, der die Zügel in der Hand hielt, dessen Name in den Zeitungen stand. Vielleicht war Phillip deshalb so farblos – er hatte sein ganzes bisheriges Leben im Schatten seines Vaters gestanden.
    Tricia Crownes Bruder hatte nach dem Mord an seiner Schwester eher Ärger als echte Trauer gezeigt. Er war derjenige, der von Rache und nicht von Gerechtigkeit gesprochen hatte. Die Vorstellung, dass Tricia ermordet worden war, empörte ihn in moralischer Hinsicht. Die Vorstellung, dass Rob Cole sie umgebracht hatte, empörte ihn noch mehr. Da er in Cole das sah, was er war, hatte Phillip Crowne sich für ihn als Tricias Ehemann nie besonders erwärmen können. Den Angeklagten Cole verabscheute er.
    Es war schwierig, sich vorzustellen, dass irgendeiner der Crownes auch nur wusste, dass jemand wie Eddie Davis existierte.
    Parker sah der Abordnung zu, wie sie die Treppe hinunterstieg. Zwei uniformierte Hilfssheriffs begleiteten sie zu dem wartenden Wagen.
    Mr. Crowne hat derzeit keinen Kommentar abzugeben.
    Mein Großvater ist sehr erschöpft.
    Mein Vater und der Rest der Familie

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