Tödliche Absicht
Street.
Froelich stand bereits im Börsengebäude in Position. Ihre Außenstelle New York hatte viel Erfahrung in der Zusammenarbeit mit der hiesigen Polizei, und nach Froelichs Ansicht war das Gebäude ausreichend sicher. Armstrongs Beruhigungsgespräche fanden in einem Privatbüro statt und dauerten zwei Stunden, deshalb konnte sie sich bis zum Fototermin entspannen. Die Medienleute des Übergangsteams wollten Fotos, die Armstrong irgendwann nach Börsenschluss auf dem Gehsteig vor der Säulenvorhalle der Börse zeigten. Froelich gelang es nicht, ihnen das auszureden, weil solche Fotos, die Wirtschaftskompetenz suggerieren sollten, dringend gebraucht wurden. Aber sie war äußerst unglücklich darüber, dass ihr Schützling längere Zeit unter freiem Himmel verweilen sollte. Sie wies ihre Agenten an, die Fotografen einzeln mit Videokameras aufzunehmen, ihre Presseausweise zweimal zu kontrollieren und jede Kamera- und Westentasche genau zu durchsuchen. Sie sprach über Funk mit dem zuständigen NYPD-Lieutenant und ließ sich nochmals bestätigen, dass die Umgebung im Umkreis von dreihundert Metern und bis zu einer Höhe von hundertfünfzig Metern sicher war. Erst dann erlaubte sie Armstrong, mit einer Gruppe von Bankern und Maklern ins Freie zu treten, wo sie fünf qualvolle Minuten lang posierten. Die Fotografen kauerten zu Armstrongs Füßen auf dem Gehsteig, um die Gruppe unter dem Architrav mit der in Stein gemeißelten Inschrift New York Stock Exchange ins Bild zu bekommen. Viel zu nahe, dachte Froelich. Armstrong und die Finanzmenschen hielten den Blick endlos lange optimistisch und entschlossen in die Ferne gerichtet. Dann war’s zum Glück vorbei. Armstrong verabschiedete sich mit seinem patentierten Ich-bliebe-gern-länger-Winken und ging ins Gebäude zurück. Die Banker und Makler folgten ihm, und die Fotografen verliefen sich. Froelich entspannte sich wieder. Die nächsten Programmpunkte waren die routinemäßige Rückfahrt zur Air Force Two und ein Flug nach North Dakota, wo Armstrong am nächsten Tag auf der ersten seiner Versammlungen zur Amtsübergabe sprechen würde, was bedeutete, dass etwa vierzehn Stunden ohne größeren Druck vor ihr lagen.
Kurz vor dem La-Guardia-Flughafen klingelte ihr Handy im Wagen. Der Anrufer war ihr Kollege in leitender Stellung auf der anderen Seite der Organisation, der von seinem Schreibtisch im Finanzministerium aus telefonierte.
»Dieses Bankkonto, das wir beobachten«, sagte er, »der Inhaber hat gerade wieder angerufen. Er lässt sich telegrafisch zwanzig Riesen zur Western Union in Chicago überweisen.«
»In bar?«
»Nein, Bankscheck.«
»Ein Western-Union-Bankscheck? Über zwanzig Riesen? Damit bezahlt er jemanden für etwas. Waren oder Dienstleistungen. Todsicher!«
Ihr Kollege äußerte sich nicht dazu. Sie schaltete das Handy aus und behielt es noch eine Sekunde in der Hand. Chicago ? Dorthin wollte Armstrong garantiert nicht.
Die Air Force Two landete in Bismarck, und Armstrong fuhr zu seiner Frau nach Hause, um die Nacht in seinem eigenen Bett im Haus der Familie im Seengebiet südlich der Stadt zu verbringen. Das Haus war ein großer Altbau mit einer Wohnung über dem Garagenblock, die der Secret Service für sich requirierte. Froelich zog Mrs. Armstrongs Leibwächter ab, damit das Ehepaar ungestört war. Sie gab allen Leibwächtern die Nacht frei und teilte vier Agenten zur Bewachung des Hauses ein: zwei auf der Vorder-, zwei auf der Rückseite. State Trooper, deren Fahrzeuge in einem Radius von dreihundert Metern parkten, bildeten den äußeren Sicherungsring. Zur Kontrolle schritt sie ihn selbst ab. Als sie in die Einfahrt zurückkam, klingelte ihr Handy.
»Froelich?«, fragte Reacher.
»Woher haben Sie diese Nummer?«
»Ich war bei der Militärpolizei. Ich weiß, wie man Telefonnummern rauskriegt.«
»Wo sind Sie?«
»Vergessen Sie die beiden alten Musiker nicht, okay? In Atlantic City? Heute Abend geht’s ums Ganze.«
Am anderen Ende wurde aufgelegt. Sie stieg in die Wohnung hinauf und vertrödelte einige Zeit. Um ein Uhr morgens rief sie die Außenstelle Atlantic City an, die ihr bestätigte, dass das alte Geschwisterpaar pünktlich seine volle Gage erhalten hatte und zur I-95 begleitet worden war. Sie schaltete ihr Handy aus, blieb noch eine Zeit lang am Fenster sitzen und dachte über alles Mögliche nach. Die Nacht war still und sehr finster. Sehr einsam. Kalt. In der Ferne schlug gelegentlich ein Hund an. Froelich hasste solche
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