Tödliche Absicht
Dann bin ich durch Secondhandshops in Lower Manhattan gezogen und habe eine gebrauchte Fotoausrüstung erstanden. Hab die ganze Zeit eine Kamera vor mein Gesicht gehalten, damit Armstrong mich nicht wiedererkennen konnte.«
»Sie sollten eine Zulassungsliste führen«, sagte Reacher. »Den Zugang irgendwie kontrollieren.«
»Das dürfen wir nicht«, entgegnete Froelich. »Das wäre gegen die Verfassung. Der Erste Verfassungszusatz garantiert Journalisten ungehinderten Zugang, wann und wo sie wollen. Aber sie werden alle einer Leibesvisitation unterzogen.«
»Ich war nicht bewaffnet«, sagte Neagley. »Ich habe Ihre Kontrollen nur so zum Spaß unterlaufen. Aber diese Kontrollen sind so lax, dass ich ohne weiteres eine Bazooka hätte durchschmuggeln können.«
Reacher stand auf und trat an das Sideboard, zog eine Schublade auf und nahm einen Packen Fotos heraus: Farbbilder im Format dreizehn mal achtzehn Zentimeter von einem Fotoschnelldienst. Er hielt die erste Aufnahme hoch. Sie zeigte Armstrong von schräg unten vor der Börse stehend, deren Architrav mit der eingemeißelten Inschrift New York Stock Exchange wie ein Heiligenschein über seinem Kopf schwebte.
»Von Neagley aufgenommen«, sagte Reacher. »Gutes Bild, finde ich. Vielleicht sollten wir es an eine Zeitschrift verkaufen, um einen Teil der zwanzig Mille reinzubekommen.«
Er ging zum Bett, setzte sich auf die Kante und gab Froelich das Foto. Sie hielt es in der Hand und starrte es schweigend an.
»Entscheidend ist, dass ich keine anderthalb Meter von ihm entfernt war«, sagte Neagley. »Ich hätte jederzeit an ihn heran gekonnt. Wieder eine John-Malkovich-Situation, aber er wäre mit mir draufgegangen.«
Froelich nickte mit ausdrucksloser Miene. Reacher reichte ihr das nächste Foto – eine aus offenbar großer Entfernung mit einem Teleobjektiv gemachte körnige Aufnahme, deren Fotograf sich sehr hoch über der Straße befunden hatte. Sie zeigte Armstrong als winzige Gestalt vor dem Eingang der New Yorker Börse. Um seinen Kopf war mit Kugelschreiber ein primitiver Zielkreis mit Fadenkreuz gezeichnet.
»Das ist die halbe Chance«, sagte Reacher. »Ich war im sechzigsten Stock eines weniger als dreihundert Meter entfernten Bürogebäudes. In der von der Polizei festgelegten Schutzzone, aber höher, als sie kontrolliert hat.«
»Mit einem Gewehr?«
Er schüttelte den Kopf. »Mit einem Stück Holz in Form und Größe eines Gewehrs. Und natürlich einer weiteren Kamera und einem starken Teleobjektiv. Aber ich hab die Sache realistisch durchgespielt. Ich wollte sehen, was möglich ist. Weil ein gewehrförmiges Paket bestimmt aufgefallen wäre, habe ich mir den großen quadratischen Karton eines Computermonitors besorgt und das Stück Holz diagonal hineingelegt. Dann habe ich den Karton auf einem kleinen Rollwagen in den Aufzug geschoben und so getan, als sei er sehr schwer. Unterwegs bin ich ein paar Cops begegnet. Sie haben mich vermutlich für einen Ausfahrer gehalten. Im Finanzviertel ist Freitag nach Börsenschluss die beste Zeit für Lieferungen. In einem leeren Konferenzraum habe ich ein geeignetes Fenster gefunden. Es hat sich nicht öffnen lassen, deshalb hätte ich einen Kreis aus dem Glas schneiden müssen. Aber es wäre möglich gewesen, einen Schuss abzugeben, so wie ich dieses Bild geknipst habe. Und ich wäre Edward Fox gewesen und hätte nach dem Schuss unerkannt verschwinden können.«
Froelich nickte. »Wieso nur halb?«, fragte sie. »Sieht so aus, als hätten Sie ihn echt erwischt.«
»Nicht in Manhattan«, sagte Reacher. »Ich war ungefähr zweihundertsiebzig Meter entfernt und in zweihundert Meter Höhe. Das ergibt eine Schussweite von mindestens dreihundertdreißig Metern. Normalerweise kein Problem für mich, aber der böige Wind und die Thermik in den Straßenschluchten hätten die Sache zu einer Lotterie gemacht. Die zwischen den Wolkenkratzern verwirbelte Luft ist in ständiger Bewegung: aufwärts, abwärts, seitlich. Unter diesen Verhältnissen kann niemand einen Treffer garantieren. Eigentlich ist das eine gute Nachricht für Sie. Kein kompetenter Scharfschütze würde in Manhattan aus größerer Entfernung schießen. Das täte nur ein Idiot, und der würde ohnehin nicht treffen.«
Froelich nickte wieder, diesmal fast erleichtert. »Okay«, sagte sie.
Sie macht sich keine Sorgen wegen eines Idioten, dachte Reacher. Muss also ein Profi sein.
»Gut«, fuhr er fort. »Sagen wir insgesamt drei Male, wenn Sie wollen, und
Weitere Kostenlose Bücher