Tödliche Absicht
heraus und betrachtete es.
»Sie sind natürlich dabei, den Fingerabdruck zu überprüfen«, sagte Neagley.
»Aber Sie werden nichts finden«, meinte Reacher. »Der Absender muss sich völlig sicher sein, dass seine Fingerabdrücke nirgends gespeichert sind.«
»Bisher sind wir nicht fündig geworden«, räumte Froelich ein.
»Was wirklich verrückt ist«, sagte Reacher. »Er signiert die Message mit seinem Daumenabdruck, was er unbesorgt tun kann, weil seine Fingerabdrücke nirgends gespeichert sind, aber er gibt sich größte Mühe, sie sonst nirgends zu hinterlassen. Weshalb?«
»Effekthascherei?«, fragte Neagley. »Sinn für Dramatik? Pedanterie?«
»Jedenfalls ist das die Erklärung für das teure Papier«, fuhr Reacher fort. »Die glatte Oberfläche nimmt den Abdruck gut auf. Billiges Papier wäre zu porös.«
»Womit haben sie ihn im Labor sichtbar gemacht?«, wollte Neagley wissen. »Mit Joddämpfen? Ninhydrin?«
Froelich schüttelte den Kopf. »Er war gleich unter dem Fluoroskop zu sehen.«
Reacher schwieg eine Weile, studierte nur das Foto. Draußen war es inzwischen dunkel geworden. Ein nebelfeuchter Großstadtabend.
»Was noch?«, sagte er zu Froelich. »Warum sind Sie so nervös?«
»Sollte sie noch mehr brauchen?«, fragte Neagley ihn.
Reacher nickte. Du weißt, wie diese Organisationen funktionieren, hatte er ihr erklärt.
»Es muss noch mehr geben«, sagte er. »Ich meine, okay, dieser Brief ist beängstigend genug, nehme ich an, aber reicht das, um jemanden wirklich in Panik zu versetzen?«
Froelich seufzte und ließ einen zweiten Gegenstand aus dem Umschlag herausrutschen. Er entsprach fast völlig dem Ersten. Eine Klarsichthülle mit einem achtzehn mal vierundzwanzig Zentimeter großen Farbfoto. Die Aufnahme zeigte ein weißes Blatt Papier. Darauf standen sechs Wörter: Der designierte Vize-Präsident Armstrong wird sterben. Das Papier lag auf einer anderen Unterlage und hatte ein anderes Lineal neben sich liegen. Die Unterlage bestand aus grauem Verbundmaterial, das Lineal aus durchsichtigem Kunststoff.
»Beide sind so gut wie identisch«, erklärte Froelich. »Die Untersuchung hat gleiche Ergebnisse erbracht, und der Daumenabdruck als Signatur ist ebenfalls gleich.«
»Und?«
»Dieser Brief hat auf dem Schreibtisch meines Chefs gelegen«, entgegnete Froelich. »Er war eines Morgens einfach da. Kein Umschlag, nichts. Und wir können uns absolut nicht erklären, wie er dorthin gekommen ist.«
Reacher stand auf und trat ans Fenster. Fand die Zugschnur und schloss die Vorhänge. Ohne ersichtlichen Grund. Es erschien ihm einfach angebracht.
»Wann ist er aufgetaucht?«, fragte er.
»Drei Tage, nachdem der andere mit der Post gekommen war«, erwiderte Froelich.
»Auf Sie zielend«, stellte Neagley fest. »Mehr als auf Armstrong selbst. Weshalb? Um sicherzugehen, dass Sie die erste Warnung ernst nehmen?«
»Wir haben sie bereits ernst genommen«, meinte Froelich.
»Wann verlässt Armstrong Camp David?«, fragte Reacher.
»Sie werden dort heute gemeinsam zu Abend essen«, sagte Froelich. »Sich danach vielleicht noch ein bisschen unterhalten und vermutlich irgendwann nach Mitternacht zurückfliegen.«
»Wer ist Ihr Boss?«
»Ein Mann namens Stuyvesant«, antwortete Froelich. »Wie die Zigarette.«
»Haben Sie ihn von den letzten fünf Tagen in Kenntnis gesetzt?«
Froelich schüttelte den Kopf. »Ich hab beschlossen, es nicht zu tun.«
»Vernünftig«, sagte Reacher. »Und was genau erwarten Sie von uns?«
Froelich schwieg einen Moment.
»Keine Ahnung«, sagte sie. »Das frage ich mich seit sechs Tagen – seit ich beschlossen habe, Sie aufzuspüren. Ich hab mich gefragt: Was willst du in einer solchen Situation wirklich? Und wissen Sie was? Ich will eigentlich nur mit jemandem reden, das heißt: Ich will mit Joe reden. Weil’s hier Komplikationen gibt. Das merken Sie ja auch, oder? Und Joe hätte den Weg durchs Labyrinth gefunden. Clever genug war er.«
»Sie wollen, dass ich Joe bin?«, fragte Reacher.
»Nein, ich wünschte, Joe wäre noch am Leben.«
Reacher nickte. »Da geht’s Ihnen wie mir. Aber er ist’s nicht.«
»Vielleicht könnten Sie sich als Zweitbester in die Bresche werfen.«
Sie hielt erneut inne.
»Entschuldigung«, sagte sie dann. »Das war nicht besonders taktvoll.«
»Erzählen Sie mir von den Neandertalern«, forderte Reacher sie auf. »Bei Ihnen im Dienst.«
Froelich nickte. »Das war auch mein erster Gedanke.«
»Das ist eindeutig eine
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