Tödliche Absicht
geraten und vor allem erfolgreich. Damit schlagen Sie zwei Fliegen mit einer Klappe. Bleiben Sie ruhig, bringen Sie den Insider um seinen Erfolg. Sind Sie erfolgreich, bringen Sie den Außenstehenden um seinen Erfolg.«
Froelich nickte frustriert. »Aber mit wem haben wir’s zu tun? Was haben die Raumpfleger Ihnen erzählt?«
»Nichts«, antwortete Reacher. »Ich vermute, dass jemand, den sie kennen, sie dazu überredet hat, den Brief einzuschmuggeln. Aber sie geben nichts zu.«
»Ich erkläre Armstrong, dass er morgen zu Hause bleiben muss.«
Reacher schüttelte den Kopf. »Das dürfen Sie nicht. Fangen Sie erst mit so was an, sehen Sie nur noch Gespenster, und er verbringt die kommenden vier Jahre völlig isoliert. Sie müssen Ruhe bewahren und hartnäckig sein.«
»Leicht gesagt.«
»Leicht getan. Atmen Sie einfach tief durch.«
Froelich schwieg einen Moment, dann nickte sie.
»Gut«, sagte sie. »Ich besorge Ihnen einen Fahrer. Seien Sie um neun Uhr wieder hier. Dann findet eine weitere Strategiesitzung statt. Genau eine Woche nach der Letzten.«
Der Morgen war feucht und sehr kalt. Der Qualm von Autoabgasen hing über den Straßen, und auf den Gehsteigen hasteten in Schals gehüllte Fußgänger vorüber. Als Neagley und Reacher sich um acht Uhr vierzig am Taxistand vor dem Hotel trafen, wartete dort ein Wagen des Secret Service auf sie. Die schwarze Limousine parkte mit laufendem Motor in der zweiten Reihe. Der Fahrer stand neben dem Wagen. Er war ungefähr dreißig, trug einen dunkelgrauen Wintermantel und Handschuhe, wippte auf den Zehenspitzen auf und ab und beobachtete aufmerksam die Umgebung. Sein Atem bildete in der kalten Luft Dampfwolken.
»Er sieht besorgt aus«, bemerkte Neagley.
Im Innern der Limousine war es sehr warm. Der Fahrer schwieg hartnäckig. Nannte nicht mal seinen Namen. Drängelte sich rücksichtslos durch den morgendlichen Berufsverkehr und fuhr mit quietschenden Reifen in die Tiefgarage. Führte sie rasch in den kleinen Vorraum und in den Aufzug. Lieferte sie drei Etagen höher an der Empfangstheke ab, die heute mit einem anderen Mann besetzt war. Er zeigte den Flur entlang in Richtung Konferenzraum.
»Hat schon angefangen«, sagte er. »Beeilen Sie sich lieber.«
Der Konferenzraum war leer bis auf Froelich und Stuyvesant, die sich an dem breiten Tisch gegenübersaßen. Beide waren blass und schweigsam. Auf der polierten Fläche zwischen ihnen lagen zwei Fotos. Eines war die offizielle FBI-Aufnahme im Format dreizehn mal achtzehn Zentimeter der gestern überbrachten Mitteilung, die aus neun Wörtern bestand: Der Tag, an dem Armstrong sterben wird, nahet rasch. Das andere war ein hastig gemachtes Polaroidfoto eines weiteren Blatt Papiers. Reacher trat an den Tisch und beugte sich darüber.
»Scheiße«, sagte er.
Das Polaroidfoto zeigte ein weiteres Blatt Papier, das den ersten drei genau entsprach. Auch auf diesem Blatt stand eine exakt zentrierte zweizeilige Mitteilung etwas oberhalb der Mitte. Sieben Wörter: Eine Demonstration Ihrer Verwundbarkeit wird heute inszeniert.
»Wann ist das gekommen?«, fragte er.
»Heute Morgen«, antwortete Froelich. »Mit der Post. An Armstrong in seinem Büro adressiert. Aber wir leiten seine Post jetzt hierher um.«
»Wo kommt es her?«
»Orlando, Florida, am Freitag aufgegeben.«
»Ein weiteres beliebtes Touristenziel«, bemerkte Stuyvesant.
Reacher nickte. »Was hat die Untersuchung der gestrigen Mitteilung erbracht?«
»Ich habe mir einen Vorausbericht am Telefon geben lassen«, entgegnete Froelich. »Alles identisch, auch der Daumenabdruck. Diese Mitteilung hier ist bestimmt gleich. Das Labor ist dabei, sie zu untersuchen.«
Reacher starrte die Fotos an. Die Daumenabdrücke waren natürlich unsichtbar, aber er hatte das Gefühl, sie trotzdem sehen zu können, als leuchteten sie im Dunkeln.
»Ich habe die Raumpfleger verhaften lassen«, sagte Stuyvesant.
Alle schwiegen.
»Instinktives Gefühl?«, fragte Stuyvesant. »Scherz oder Ernst?«
»Ernst«, sagte Neagley. »Glaube ich.«
»Spielt aber noch keine Rolle«, sagte Reacher. »Weil noch nichts passiert ist. Aber wir müssen so tun, als sei es ernst gemeint, bis das Gegenteil bewiesen ist.«
Stuyvesant nickte. »Das war Froelichs Empfehlung. Sie hat Karl Marx zitiert. Aus Das kommunistische Manifest .«
»Tatsächlich aus Das Kapital «, korrigierte Reacher ihn. Er griff nach dem Polaroidfoto, um es sich noch mal anzusehen. Es war nicht besonders scharf, aber der Sinn
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