Tödliche Aktien
hab’ gesagt, daß ich dich unterstütze«, sagte Karen etwas gereizt. »Aber ich hab’ nie gesagt, daß ich deiner Meinung bin. Versuch doch, die Sache unvoreingenommen zu sehen. Vielleicht ist es für mich einfacher, weil ich nicht so engagiert bin wie du.«
Es war sinnlos, die Auseinandersetzung fortzusetzen, und wir verließen das Gebäude. Rachels Büro lag auf dem Weg. Sie saß am Computer. Als wir vorbeigingen, sah sie auf.
Ich war unschlüssig. Sah es komisch aus, wenn ich sie miteinander bekannt machte, oder wirkte es noch merkwürdiger, wenn ich es nicht tat? Karen erlöste mich aus dem Dilemma. »Wer starrt uns denn da so an?«
»Rachel Walker, die Technische Direktorin. Ich habe dir von ihr erzählt. Komm, ich mach’ euch bekannt.«
Also betraten wir Rachels Büro. Offenbar hatte sie die Nacht dort verbracht. Eine leere Weinflasche stand auf dem Tisch und zwei volle Aschenbecher. Auch als wir eintraten, rauchte sie. Sie sah noch unordentlicher aus als sonst. Ihr Haar war zerzaust und hing ihr ins Gesicht; über zerlöcherten Jeans trug sie den obligaten Pullover, schwarz und beutelig.
Karen trat nur zögernd ein. Sie haßte Zigarettenrauch und übertrug diese Abneigung auf alle, die ihn produzierten.
»Rachel Walker, Karen Chilcott.«
Rachel erhob sich. »Freut mich, Sie kennenzulernen«, sagte sie, und ihre Stimme klang etwas kälter als sonst. »Wie gefällt Ihnen die Firma?«
Über eine leicht gerümpfte Nase blickte Karen sie an. »Ich habe sie mir anders vorgestellt. Ich dachte, es gebe mehr Maschinen, Förderbänder und solche Sachen.«
»Ja«, sagte Rachel. »Sie haben absolut recht. Wir sollten mehr Förderbänder haben, findest du nicht auch, Mark?«
Mißtrauisch sah Karen mich an. Ich wechselte schnell das Thema. »Erzähl Karen doch, woran du gerade arbeitest.« Kaum hatte ich es gesagt, bereute ich es schon.
»Natürlich«, sagte Rachel und lächelte liebenswürdig. »Setzen Sie die hier bitte auf.« Sie wies auf die Datenbrille, die an ihren Computer angeschlossen war. Ich wollte Karen daran hindern, aber es war schon zu spät.
Nachdem Rachel ein paar Tasten betätigt hatte, erschien auf dem Bildschirm plötzlich eine glänzende Masse von grauer, grüner, brauner und roter Farbe. Karen stieß einen kleinen Schrei aus. »Sie befinden sich jetzt in der Leber eines Patienten. Dort, sehen Sie«, Rachel deutete auf eine grauweiße Kugel, die mit dünnen Auswüchsen bedeckt war. »Das ist ein Tumor, der entfernt werden muß. Durch dieses Programm kann der Chirurg die Leber vor der Operation untersuchen. Das ist eine sensationelle Neuheit. Sehen Sie sich ruhig ein bißchen um.«
Das Bild der Leber wurde größer und begann sich zu drehen. Mir wurde schon von dem Anblick auf dem flachen Bildschirm schlecht, wie scheußlich mußte es da für Karen sein! Fünf Sekunden hielt sie es aus, dann riß sie sich die Brille herunter. »Uff«, stöhnte sie und sah etwas grünlich aus. Sie stand auf. »Vielen Dank, ich glaube, ich habe einen ausreichenden Eindruck gewonnen.«
»Oh, ’tschuldigung«, sagte Rachel. »War wohl doch zu realistisch? Man braucht eine Weile, um sich daran zu gewöhnen. Ich habe noch ein Programm. Damit kann man Darmkrebs erkennen. Möchten Sie es sehen?«
»Nein, vielen Dank«, erwiderte Karen. Als ich sie zur Tür hinausschob, warf ich Rachel einen finsteren Blick über die Schulter zu.
Rachel setzte wieder ihr liebenswürdiges Lächeln auf. »Wiedersehen. War nett, daß ihr vorbeigeschaut habt«, rief sie uns hinterher.
»Himmel, was für ein entsetzliches Geschöpf«, sagte Karen. »Muß ja schrecklich sein, mit ihr zusammenzuarbeiten. Bring mich bloß weg von hier!«
Schweigend fuhren wir nach Kirkhaven zurück. Ich war wütend. Wütend auf Karen, weil sie die Bedeutung von FairSystems nicht wahrhaben wollte, und wütend auf Rachel, weil sie diese lächerliche Show abgezogen hatte. Was hatte sie sich bloß dabei gedacht!
Der Regen ließ etwas nach, als ich das Abendessen zubereitete. Bleich und verwaschen kam die Abendsonne hervor und begann ein rötlichgoldenes Farbenspiel auf der immer noch unruhigen See. Das Essen tat uns gut, und wir beschlossen, noch einen Abstecher in den Inch Tavern zu machen.
Im Pub war es warm und gemütlich. Jim Robertson begrüßte uns freundlich. Und Karen wirkte nicht mehr so angespannt. Von dem kurzen Spaziergang hatte sie Farbe bekommen, und die blonden Haare schimmerten in dem gedämpften Licht.
»Am Donnerstag bin ich bei
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