Tödliche Aktien
dann mußt du auch etwas für mich tun. Hör mich an! Du hast mir nie die Chance gegeben, dir alles zu erklären.«
Ich sah ihn an. Vermutlich hatte er recht. Also lehnte ich mich zurück, verschränkte die Arme und machte mich widerstrebend gefaßt auf das, was er mir zu erzählen hatte.
»Ich habe deine Mutter wirklich geliebt. Sie war dem Leben so zugetan, so leidenschaftlich, so voller Energie. Aber das Zusammenleben mit ihr war nicht immer einfach. Kannst du dich noch an all die Streitereien erinnern?«
Ich nickte. Natürlich konnte ich mich erinnern. Und ich mußte auch zugeben, daß sie meistens von ihr ausgegangen waren. Aber die Auftritte waren so rasch vorbei gewesen, wie sie gekommen waren, und dann war sie wieder unsere fröhliche, warmherzige und liebevolle Mama gewesen. Mein Vater dagegen hatte endlos vor sich hingebrütet.
»Ich hab’ mich wirklich bemüht«, fuhr er fort, »aber es hat nichts genützt. Dann bin ich Frances begegnet, und wir haben uns verliebt.«
Ich war wenig beeindruckt. Immerhin war die Frau, die er verlassen hatte, meine Mutter. »Und dann ist Mama gestorben«, sagte ich.
Er zuckte zusammen. »Ja, sie ist gestorben. Und ja, ich habe mich schuldig gefühlt. Ich habe Unrecht getan. Ich habe es damals gewußt, und ich weiß es heute. Aber kannst du mir nicht vergeben?«
»Warum sollte ich«, sagte ich, die Arme noch immer verschränkt. Natürlich hatte ich in der Vergangenheit schon oft daran gedacht. Die Versuchung war groß. Doch irgendwie konnte ich mich nicht dazu aufraffen. Es wäre mir wie Verrat an meiner Mutter vorgekommen, und dazu war ich nicht fähig.
Mein Vater zögerte und blickte wieder auf sein Bier hinab. Er räusperte sich. »Da gibt es noch etwas, was ich dir erzählen muß, Mark. Es ist nicht sehr erfreulich, aber du solltest es wissen.«
Ich wartete schweigend.
»Auch deine Mutter ist nicht immer treu gewesen.«
Jähe Wut packte mich. »Wie kannst du so was behaupten, Dad!«
Traurig sah er mich an. »Es ist die Wahrheit.«
»Das glaube ich nicht!«
»Ich weiß von wenigstens dreimal. Einmal sogar mit jemandem, den du kennst.«
»Ach tatsächlich? Mit wem?«
»Walter.«
»Walter Sorenson? Mach dich nicht lächerlich!«
»Keineswegs! Wir waren damals in Stanford. Du warst zwei Jahre alt.«
»Und du glaubst wirklich, Sorenson hätte eine Affäre mit Mama gehabt?«
»Ich bin mir sicher. Solche Geschichten hat er früher oft gemacht. Macht er wahrscheinlich immer noch.«
»Aber ihr seid doch dick befreundet.«
Mein Vater nickte. »Sind wir auch. Zumindest heute.«
»Und es macht dir nichts aus?«
Verwirrt blickte ich meinen Vater an. Er ließ sich Zeit mit der Antwort.
»Es hat lange gedauert, aber schließlich hab’ ich ihm vergeben.«
Es war, als hätte man mir den Boden unter den Füßen weggezogen. All die Jahre war ich mir so sicher gewesen, daß Dad meinen Haß verdiente. Damit war es jetzt vorbei. Wie war meine schöne Mama zu solcher Treulosigkeit fähig gewesen? Stets war Dad das Ungeheuer in der Familie gewesen. Und doch wußte ich, daß er die Wahrheit sagte. Ich blickte den gebrochenen Mann an und empfand Mitleid.
Dem Mitleid folgten Schuldgefühle. Er hatte dem Freund vergeben, der mit seiner Frau geschlafen hatte, und ich hatte es noch nicht einmal fertiggebracht, dem eigenen Vater zu verzeihen. Doch dann spürte ich die alte Gewißheit zurückkehren. Er hatte meine Mutter verlassen, und sie war daran gestorben. Nun versuchte er, meine Gefühle zu manipulieren. Aber ohne mich. Ich mußte fort, und zwar sofort.
Ich stellte mein Glas ab. »War nett von dir, daß du gekommen bist«, murmelte ich, »aber ich muß jetzt wirklich gehen.« Ich stand auf und vermied seinen Blick. »Wiedersehen, Dad«, sagte ich und stolperte zum Pub hinaus.
Am Samstag morgen um Viertel nach elf holte ich Karen vom Flughafen in Edinburgh ab. Ich freute mich auf das Wochenende. Bisher war sie nur ein einziges Mal hier oben gewesen – zu Richards Begräbnis. Jetzt wollte ich ihr Kirkhaven zeigen und den Betrieb in Glenrothes. Den Überfall letzte Woche versuchte ich aus meinem Gedächtnis zu streichen. Ich redete mir ein, daß uns keine Gefahr drohte. Auf keinen Fall wollte ich ihr davon erzählen; das hätte sie kaum in der Überzeugung bestärkt, es sei richtig, daß ich mich auch weiterhin um FairSystems kümmerte.
Donnerstag nacht war ich sehr deprimiert aus Oxford zurückgekehrt. Die lange Fahrt hätte sich für das halbstündige Gespräch
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