Tödliche Aktien
wo Karen aufgewachsen war. Karens Vater hatte die Familie verlassen, als Karen zwölf Jahre alt war, und ihre Mutter hatte ihm das nie verziehen. Karen genausowenig. Ich konnte das den beiden nachempfinden, und tatsächlich war das ein Punkt, über den Karen und ich uns nähergekommen waren. Verständnis hatte ich also für ihre Mutter, aber das Wochenende mußte ich nicht unbedingt mit ihr verbringen.
»Das muß aber noch nicht am Freitag abend sein, oder?«
»Ich kann sie sicherlich bis Samstag vertrösten. Warum? Ist irgendwas Besonderes?« Sie lächelte. Am Freitag hatte sie Geburtstag.
»Ich habe einen Tisch im Café du Marché bestellt. Erinnerst du dich?«
Sie nickte, und ihr Lächeln vertiefte sich. Zuletzt waren wir vor anderthalb Jahren dort gewesen, an dem Abend, an dem aus unserer Freundschaft eine Liebesbeziehung geworden war. Natürlich erinnerte sie sich.
»Eine wunderbare Idee«, sagte sie und gab mir einen raschen Kuß.
Karen war müde, und wir gingen zu Bett. Offenbar war sie guter Dinge, denn ich konnte sie im Badezimmer summen hören. Dann kam sie ins Bett, und ich nahm sie in die Arme. Doch als sie meine Hand auf ihrem Schenkel spürte, küßte sie mich auf die Nase und sagte: »Nicht jetzt, Mark. Ich bin wirklich müde.«
Ich lag wach und beobachtete, wie sie mit einem Lächeln auf dem Gesicht einschlief.
Das hartnäckige Läuten des Telefons weckte mich. Ein Blick auf den Wecker zeigte mir, daß es Viertel vor zwölf war. Wer rief eine Viertelstunde vor Mitternacht an?
Ich nahm den Hörer ab. Es war Richard.
»Tut mir leid, daß ich so spät noch störe«, sagte er.
»Schon gut«, sagte ich und stützte mich auf den Ellenbogen.
Kurzes Schweigen. Ich wartete, um zu hören, was er wollte. »Richard?«
»Hör mal, Mark, würde es dir etwas ausmachen, am Wochenende nach Schottland zu kommen? Ich müßte was mit dir besprechen.«
»Aha, hm«, murmelte ich, um Zeit zu gewinnen. Schottland war ein bißchen weit für eine Unterhaltung. »Können wir nicht am Telefon reden?«
»Nein, ich würde dich gerne sehen. Es ist ziemlich schwierig. Sehr schwierig sogar.«
Das mußte es wohl sein, wenn Richard mich deswegen um Mitternacht anrief. In seiner kurzen Laufbahn als Unternehmer hatte er mit Problemen aller Art zu tun bekommen, und abgesehen von den Liquiditätsschwierigkeiten im letzten Jahr, hatte er meine Hilfe nie in Anspruch genommen.
Also blieb mir wohl nichts anderes übrig, als mich in einen Flieger zu setzen. Dann fiel mir das Café du Marché ein. Und Ascot. Am Samstag abend nach dem letzten Rennen konnte ich es gerade noch schaffen.
»Ist Samstag abend früh genug?«
»Freitag geht es nicht?«
Ich überlegte, ob ich meine Verabredung mit Karen absagen sollte. Aber schließlich hatte sie Geburtstag. Das war ein wichtiges Datum für sie – für uns. Auf dieses Essen wollte ich nicht verzichten. Und dann erinnerte ich mich an die Bemerkung, die Richard bei unserer letzten Begegnung über sie gemacht hatte.
»Nein, vor Samstag abend kann ich nicht.«
»Okay, sehr schön«, sagte er, war aber offenbar enttäuscht. »Nimm den Flieger um acht, und ich hol’ dich am Flughafen in Edinburgh ab.«
»Gut, bis dann.« Ich legte auf.
Karen bewegte sich. »Wer war das?«
»Richard«, sagte ich. »Er möchte sich am Wochenende mit mir treffen.«
Plötzlich hellwach geworden, setzte Karen sich auf. »Warum das denn?«
»Weiß ich nicht«, sagte ich. »Aber er klang besorgt.«
»Fährst du hin?«
»Nicht am Freitag«, sagte ich und strich ihr über die Wange. »Aber am Samstag, nach den Rennen in Ascot.«
»Danke«, sagte Karen und gab mir einen raschen Kuß. »Was will er bloß? Wollte er es dir am Telefon nicht sagen?«
»Nein.«
»Manchmal übertreibt es dein Bruder mit der Geheimniskrämerei.«
Mindestens eine Stunde lag ich noch wach, während mir die Gedanken im Kopf herumgingen. Bewegungslos lag Karen neben mir. Ich war mir ziemlich sicher, daß sie auch noch wach war, aber ich weiß nicht mehr, wer von uns zuerst einschlief.
Wir hatten uns im Restaurant verabredet. Das Café du Marché liegt am Charterhouse Square in der Nähe von Smithfield Market und nicht weit von Harrison Brothers entfernt – das war der Grund, warum ich es vor einem Jahr vorgeschlagen hatte. Es ist ein umgebautes Lagerhaus aus hellem Holz mit schwarz gestrichenen schmiedeeisernen Verzierungen. Kein Vergleich mit der aufs Spesenkonto zielenden Aufmachung der Restaurants in der City, trotzdem ist
Weitere Kostenlose Bücher