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Tödliche Aktien

Titel: Tödliche Aktien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Ridpath
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Essen kam und war gut. Ich bestellte eine teure Hasche Wein und hob das Glas. »Alles Gute zum Geburtstag!«
    »Danke«, sagte sie. »Der dreißigste.« Sie schauderte. »Ich weiß gar nicht so recht, ob ich dreißig sein möchte.«
    Ich sagte nichts. Wohlweislich hatte ich es vermieden, die Zahl zu erwähnen.
    Karen probierte den Wein. »Mm, ist der gut!«
    »Wann fährst du zu deiner Mutter?«
    »Nicht vor morgen abend. Mein zweites Geburtstagsdinner. Mir kommt es immer so komisch vor, nur sie und ich.«
    »Hätte ich vielleicht doch mitkommen sollen? Nun geht es nicht mehr. Ich muß wirklich zu Richard.«
    »Mach dir deswegen keine Gedanken«, sagte sie. »Es ist schon besser, wenn ich allein fahre. Ihr wärt euch doch nur auf die Nerven gegangen.« Sie nahm einen Schluck Wein. »Es ist eben nur komisch, das ist alles.«
    »Ohne deinen Vater?«
    »Ja.« Ihre Stimme klang plötzlich angespannt.
    Beide kamen wir aus Scheidungsfamilien, und noch immer war es ein wunder Punkt für uns beide. Deshalb vermieden wir das Thema meistens, doch diesmal konnte ich mich nicht zurückhalten.
    »Hast du je versucht, ihn wiederzusehen?«
    »Ich weiß nicht, wo er ist. Ich glaube, Mutter weiß es, aber sie will es mir nicht sagen.«
    »Will es dir nicht sagen?«
    »Genau.« Ich bemerkte Tränen in ihren Augen. »Natürlich streitet sie es ab. Sie behauptet, er sei spurlos verschwunden.«
    »Und du glaubst ihr nicht?«
    »Du kennst doch Mutter«, sagte sie abfällig. »Sie denkt, so sei es besser für mich. Ganz bestimmt.«
    Schweigend widmeten wir uns dem Essen. Karen schluchzte noch ein-, zweimal und schaffte es irgendwie, ihre Tränen zu unterdrücken. Doch dadurch hob sich ihre Stimmung nicht, im Gegenteil. Sie war mit ihren Gedanken weit fort, als sie ihrer Ente zu Leibe rückte. In diesem Zustand hatte ich sie schon erlebt und wünschte, ich hätte das Thema nie zur Sprache gebracht. Ich hatte gut daran getan, es bisher zu vermeiden.
    »Ich habe ihn geliebt«, sagte Karen plötzlich. Die Tränen hatte sie zwar unterdrückt, aber ihre Stimme klang belegt und gepreßt, als halte sie mühsam etwas zurück. Trauer oder Wut – oder beides. »Er war alles für mich. Abends konnte ich nicht erwarten, daß er nach Hause kam und mit mir spielte. Selbst mit zwölf hing ich noch wie eine Klette an ihm. Einmal hat er mich zu einem Betriebsfest mitgenommen. Ich war so stolz auf ihn. Und er auf mich. Als er mich verlassen hat, konnte ich es nicht begreifen. Wie konnte er das tun, Mark? Wie konnte er nur?«
    Einen Augenblick sah sie mich an – in ihren Augen las ich Qual, Wut und die Suche nach etwas. Offenbar fand sie es bei mir nicht, denn sie wandte den Blick sogleich wieder ab und starrte mit steinernem Gesicht auf ihren Teller. Kaum merklich bewegte sich ihr Oberkörper vor und zurück. Sie hatte sich völlig in sich zurückgezogen und machte keine Anstalten mehr, das Essen anzurühren. Irgendwo, tief in ihrem Inneren, arbeitete etwas. Vielleicht ein wilder, verzweifelter Schrei, der sich in ihr aufgestaut hatte und herauswollte, um all dem Schmerz und all der Wut Luft zu machen. Ich hatte sie schon einmal so erlebt, unmittelbar nachdem sie von ihrem Liebhaber verlassen worden war, und es war schrecklich gewesen.
    Kurz nach der Trennung der Eltern war Karen von einem Psychiater zum anderen gereicht worden. Ich wußte nicht, was die herausgefunden hatten oder ob sie ihr hatten helfen können. Karen war nicht näher darauf eingegangen, und ich hatte nicht nachgefragt. Nachdem dieser Mann sie hatte sitzenlassen, schien sie sich am Rande eines Nervenzusammenbruchs zu befinden, und ich hatte ihr gesagt, sie müsse mit jemandem reden. Am Ende war ich dieser jemand gewesen, und allmählich hatte sie sich wieder gefaßt. Darauf war ich stolz, doch jetzt fragte ich mich, ob es gereicht hatte, daß sie mit mir geredet hatte. Neulich der Anblick ihres ehemaligen Liebhabers und heute das Gespräch über ihren Vater – wir schienen allmählich wieder dort zu landen, wo wir begonnen hatten.
    Schweigend beobachtete ich sie und hoffte inständig, ihre Spannung möge nachlassen. Nach fünf Minuten begann sie sich langsam wieder zu fassen. »Tut mir leid«, sagte sie.
    »Alles in Ordnung?« fragte ich.
    »Ja.«
    Doch wir beendeten die Mahlzeit ziemlich wortkarg, zahlten und gingen nach Hause.
    Ich nippte am Champagner und lehnte mich in meinem Sitz zurück. Die Wolken rissen auf, und in der Ferne konnte ich die Lichter von Sheffield sehen. Obwohl der

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