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Tödliche Aktien

Titel: Tödliche Aktien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Ridpath
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heute nacht?«
    »Äh, nein, ich weiß nicht. Eigentlich wollte ich in Richards Haus schlafen.«
    »Tut mir leid, das geht nicht. Wir müssen es noch untersuchen. Aber Sergeant Cochrane hat im Robbers’ Arms ein Zimmer für Sie bestellt. Er bringt Sie hin.«
    Mit einem Seufzer schloß ich die Tür des Gasthofzimmers hinter mir. Robbers’ Arms lag auf dem Hügel über Inch Lodge. Aus dem Fenster konnte ich auf das Haus hinabsehen. Im gleißenden Licht der Scheinwerfer, die man rundherum angebracht hatte, warf es bizarre Schatten. Der Kai stand voller Autos, viele noch mit nervös pulsierendem Blaulicht.
    Während ich dort stand, endlich allein, und auf Richards Haus hinabsah, wich die Taubheit allmählich. Tränen traten mir in die Augen, und ich begann zu schluchzen. Ich warf mich auf das kleine Bett. Es klopfte, jemand öffnete die Tür und schloß sie leise wieder.
    Ich weiß nicht, wie lange ich geweint habe, von wildem, verzweifeltem Schluchzen geschüttelt, bis es schließlich abflaute. Ich stand auf, zog mich aus, putzte mir die Zähne und kroch ins Bett, aber ich konnte nicht schlafen. Noch nicht einmal die Augen zu schließen vermochte ich – jedesmal, wenn ich es versuchte, sah ich Richard auf dem Boden des Bootsschuppens liegen.
    Nach ein paar Minuten stand ich auf und begann, unruhig auf und ab zu gehen, wobei mein Blick immer wieder von Inch Lodge angezogen wurde. Dort unten war es ruhiger geworden. Es blieben nur noch wenige Beamte vor Ort, die Schaulustigen waren nach Hause gegangen.
    In meinem Kopf herrschte ein wildes Durcheinander. Gedankenfetzen wirbelten umher, verbanden sich flüchtig zu schmerzlichen Bildern und rissen wieder auseinander. Ruhelos lief ich in dem kleinen Zimmer hin und her. Ich spürte, wie Wut und Verwirrung anwuchsen. Ich stand ganz unter dem Schock, den der schreckliche Anblick ausgelöst hatte.
    Schließlich ging ich noch einmal ans Fenster, atmete tief durch und legte mich hin.
    Die Bilder bedrängten mich auch weiterhin, aber sie wurden allmählich blasser. Nach endlosen Stunden begann sich das schwarze Viereck des Fensters grau zu färben. Ich stand auf, zog mir achtlos ein paar Kleidungsstücke an und ging hinaus.
    Tief im Osten wurde es hell. Kirkhavens cremefarbene, gelbe und weiße Häuser waren in ein wäßriges, frostiges Licht getaucht. Ich stieg die engen Gassen hinab, vorbei an einem Freimaurertempel und einer Reihe hell gestrichener Läden, die auf die Sommertouristen warteten. Mein Fiesta stand immer noch vor Richards Haus. Die Bänder, mit denen die Polizei Haus und Grundstück abgesperrt hatte, flatterten im Wind. Zwei Beamte standen Wache.
    »Morgen«, sagte ich zu einem.
    Offenbar wußte er, wer ich war. »Guten Morgen, Sir«, sagte er und blickte in eine andere Richtung. Am frühen Sonntagmorgen fühlte er sich dem Anblick von Kummer und Trauer noch nicht gewachsen. Ich konnte es ihm nicht verübeln.
    Beim Anblick des Hauses erinnerte ich mich an die vielen Stunden, die ich dort verbracht hatte. Es ragte in die kleine Flußmündung des Inch hinaus. An seinen Grundmauern waren schwarze Feldsteine aufgehäuft, und die Ebbe hatte eine dunkelgelbe Sandfläche freigelegt. Fenster- und Türrahmen waren blau umrandet, freihändig und nicht ganz gerade. Vor einigen Jahren hatte mein Bruder das Haus mit dem Geld erstanden, das unsere Mutter ihm hinterlassen hatte. Es war ein friedlicher Ort, ideal zum Nachdenken. Kein Wunder, daß mein Bruder hier einige seiner besten Einfälle gehabt hatte.
    Ich riß mich von dem Anblick und den Erinnerungen los und ging den Kai entlang, vorbei an den Fish-and-chips-Buden. Die Stadt war so gut wie ausgestorben. Im Hafen lagen ein paar Fischerboote, aber zu dieser frühen Stunde war noch niemand zu sehen.
    Ich ging auf der Mole Richtung Leuchtturm, vorbei an Hummerkörben, Taurollen und anderen Fischereiwerkzeugen bis hin zu einem roten Schleppnetzkutter, der vor der Hafeneinfahrt mit leise laufender Maschine vertäut war. Die graue See glitzerte in der Morgensonne. Jenseits des Firth of Forth konnte ich die sanften Hügel von East Lothian erkennen. Davor lagen zwei Klippen, die eine grau, die andere kalkweiß.
    Als ich mich umwandte, hatte ich wieder Kirkhaven vor mir, eine dichte Ansammlung von pastellfarbenen Häusern, die sich auf dem Hang drängten. Die gedämpften Geräusche der See verschmolzen zu einem beruhigenden, tröstlichen Hintergrundrauschen, von dem sich das aufgeregte Gekreisch der Möwen abhob. Hin und wieder

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