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Tödliche Aktien

Titel: Tödliche Aktien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Ridpath
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sei sie schon seit Stunden wach. Was sie wahrscheinlich auch war. Sie gehörte zu den Frauen, die bereits um sechs in der Frühe ihre Rosen beschneiden.
    »Guten Morgen, Daphne. Hier ist Mark. Kann ich Karen sprechen?«
    Sie brauchte einen Augenblick, um sich darüber klarzuwerden, wer am anderen Ende der Leitung war.
    »Hallo, Mark. Wie geht es Ihnen? Es ist noch ein bißchen früh, meinen Sie nicht? Karen schläft noch. Sie sollten vielleicht später noch einmal anrufen.« Was sie meinte, lautete etwa folgendermaßen: »Was zum Teufel fällt Ihnen ein, mitten in der Nacht anzurufen?« Aber mir gegenüber als Karens Freund waren ihr die Hände gebunden.
    »Ich würde trotzdem sehr gerne jetzt mit ihr sprechen, Daphne. Es ist wichtig.«
    »Bitte schön!«
    Einen Augenblick später hörte ich Karens schlaftrunkene Stimme: »Mark, was ist los?«
    »Richard ist tot.«
    »Um Himmels willen! Was ist passiert?«
    »Er ist ermordet worden. Gestern. Bei sich zu Hause.«
    Stille am anderen Ende. Dann hörte ich ein geflüstertes »Mein Gott«.
    Mit einem Anflug von Enttäuschung wurde mir bewußt, daß Karen mir heute morgen kein Trost sein würde. Sie brauchte selbst Trost. Ich war nicht der einzige, der um Richard trauerte, nur einer von vielen.
    »Wie ist das passiert?«
    Ich erzählte es ihr. Ich konnte förmlich spüren, wie sie erstarrte. Sie versuchte zu sprechen, aber es gelang ihr nicht. Ich vernahm nur ein paar gestammelte Laute und mühsames Atmen. »Karen, Karen, ist ja gut«, sagte ich hilflos.
    Plötzlich ertönte die scharfe Stimme ihrer Mutter: »Ich weiß nicht, was Sie Karen erzählt haben, aber es hat sie sehr aufgeregt. Leben Sie wohl!« Damit war die Leitung tot.
    Blöde Kuh! Ich würde Karen später noch mal anrufen, wenn sie sich beruhigt hatte.
    Der nächste Anruf war noch schwieriger. Ich wählte.
    Erst nach mehrmaligem Läuten meldete sich jemand: »Frances Fairfax.«
    Die Stimme war mir unbekannt. Die Stimme einer Frau, einer jungen Frau. Ich spürte ein Frösteln. Das war die Frau, die unsere Familie zerstört hatte.
    »Könnte ich Dr. Fairfax sprechen?«
    »Und wer ist bitte am Apparat?«
    »Sein Sohn.«
    »Oh, Richard, ich habe deine Stimme gar nicht erkannt.«
    »Ich bin auch nicht Richard«, erwiderte ich kalt.
    Schweigend holte sie meinen Vater.
    »Mark?« Es gab mir einen Stich, als ich seine Stimme hörte. Es war noch die gleiche Stimme und auch wieder nicht. Belegter war sie geworden, heiserer, die Stimme eines Mannes, der sich den Sechzig näherte.
    »Hallo? Bist du es, Mark?«
    »Ja, Dad. Ja, ich bin es, Mark.«
    »Wie geht es dir? Es ist schön, deine Stimme zu hören.« Er schien wirklich erfreut zu sein.
    Es gab so vieles, was ich ihm gern gesagt hätte. Trotzdem war ich entschlossen, es kurz zu machen.
    »Ich habe schlechte Nachrichten, Dad.«
    »Ja?« Die freudige Überraschung verflüchtigte sich. Statt dessen schien er jetzt Angst zu haben.
    »Richard ist tot«, platzte ich heraus.
    Stille. »Oh, nein! Was … ist denn geschehen?«
    »Er ist getötet worden.« Stille. »Umgebracht.«
    »Himmel! Wann?«
    »Gestern.«
    »Wie?«
    »Ein Schlag auf den Kopf. Er hat im Bootsschuppen gelegen. Dort habe ich ihn gefunden. Er …« Wieder sah ich Richards zerschmetterten Schädel vor mir. Ich konnte nicht weiterreden. Nach ein paar tiefen Atemzügen sagte ich: »Ich dachte, du müßtest es wissen.«
    »Ja. Danke, daß du mich angerufen hast.« Seine Stimme war plötzlich um weitere zwanzig Jahre gealtert. Ich wollte teilnehmen an seiner Trauer, ihn teilhaben lassen an meiner, aber es ging nicht. Das war zuviel für ein Telefongespräch.
    »Es wird einiges zu regeln geben«, sagte ich. »Die Beerdigung, das Testament, dergleichen. Außerdem das Haus, FairSystems und sein sonstiger Besitz.«
    »Ja.«
    »Ich kümmere mich darum.«
    »Nein, es geht schon. Ich kann das machen.«
    »Bitte, Dad. Bitte, laß mich das tun. Ich bin hier in Kirkhaven.«
    »Ich werde auch kommen.«
    »Nein!« sagte ich scharf. Ich wußte, das würde ich nicht verkraften. »Hör mal, ich regel’ alles, und du kommst zur Beerdigung. Dann können wir über alles reden.«
    Pause. »Okay, Mark, wir machen es so, wie du es möchtest.«
    »Danke. Auf Wiedersehen, Dad.«
    »Wiedersehen, Mark.«
    Ich starrte das Telefon an. Wie gut, daß Richard sich mit unserem Vater versöhnt hatte. Seit zehn Jahren hatten wir nicht mehr miteinander gesprochen. Wie hätte er sich wohl gefühlt, wenn ich gestorben wäre? Oder schlimmer noch,

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