Tödliche Aktien
hatte ich gemerkt, daß ich meine ersten impulsiven Reaktionen unterdrücken mußte, da sich nur mit der nötigen Selbstdisziplin Monat für Monat Geld hereinholen ließ. Karen gegenüber hatte ich eine geradezu vorbildliche Geduld bewiesen. Aber die Wut war noch immer vorhanden. Nur tiefer vergraben.
Je mehr ich darüber nachdachte, desto klarer wurde das Ziel, auf das sich meine Wut über Richards Tod zu richten hatte: das Schwein, das ihn umgebracht hatte. Inständig hoffte ich, daß die Polizei es erwischte.
Die Polizei arbeitete auf Hochtouren. Inspector Kerr tauchte bei Harrison Brothers auf, sprach mit Karen, mit Greg und fuhr dann offenbar nach Godalming, um mit der unerträglichen Daphne Chilcott zu reden. Natürlich nur, um uns als Tatverdächtige auszuschließen. Ich war sicher, daß jeder, den ich der Polizei genannt hatte, mit gleicher Gründlichkeit unter die Lupe genommen wurde.
In den nächsten Tagen mußte ich viel telefonieren. Sergeant Cochrane rief an, um mir mitzuteilen, daß die Polizei die Untersuchungen in Richards Haus abgeschlossen habe und daß ich nun jederzeit hineinkönne. Die Nachforschungen würden mit unvermindertem Nachdruck fortgesetzt, obwohl man bisher wenig Hinweise habe.
Ich rief den Bezirksstaatsanwalt in der Kreisstadt Cupar wegen des Totenscheins und anderer Formalitäten an. Zu meiner Enttäuschung teilte er mir mit, man habe zwar eine Autopsie an Richard vorgenommen, aber er könne den Leichnam noch nicht freigeben, für den Fall, daß ein künftiger Verteidiger eine eigene Untersuchung verlange. Da es noch keine Angeklagten und keine Verteidiger gebe, müsse man mit der Beerdigung warten.
Graham Stephens, ein Anwalt aus der Kanzlei von Burns Stephens in Edinburgh, rief mich an, um mich über Richards Testament zu informieren. Achthunderttausend der zwei Millionen umlaufenden FairSystems-Aktien hatte er besessen, also vierzig Prozent des Unternehmens. Nach seinem Tod war der Kurs auf viereinhalb Dollar gefallen, so daß sein Aktienanteil einen Wert von rund dreieinhalb Millionen Dollar darstellte. Dieses Aktienpaket fiel zu gleichen Teilen an meinen Vater und mich. Der einzige weitere Vermögenswert von nennenswerter Bedeutung war Inch Lodge, das Richard mir hinterließ. Zum Glück ließ sich die hohe Hypothek, die mein Bruder vor drei Jahren auf das Haus aufgenommen hatte, um FairSystems’ unersättlichen Geldbedarf zu decken, durch eine Lebensversicherung ablösen.
Ich hatte ganz und gar nicht das Gefühl, jetzt fast zwei Millionen Dollar zu besitzen. Auch Richard hatte sich verpflichtet, innerhalb eines Zeitraums von zwei Jahren nach der Plazierung keine Aktien zu verkaufen. Im übrigen wäre es unmöglich gewesen, ein so großes Paket über einen Makler loszuschlagen. Um das Geld zu bekommen, hätte man das ganze Unternehmen verkaufen müssen. Dann wären noch Steuern fällig gewesen. Und ich war noch immer nicht davon überzeugt, daß es FairSystems in anderthalb Jahren überhaupt noch geben würde.
Am Mittwoch erhielt ich einen weiteren Anruf, kurz nachdem ich von der Arbeit nach Hause gekommen war. Eine kräftige amerikanische Stimme. Ich kannte sie nicht.
»Mark Fairfax?«
»Am Apparat.«
»Guten Tag, Mark. Walter Sorenson. Ich bin ein Freund Ihres Vaters, und ich darf wohl sagen, daß ich auch Richards Freund war.«
Ich hatte Walter Sorenson zwar nie richtig kennengelernt, aber ich wußte, wer er war. Mein Vater war ihm in den sechziger Jahren an der Stanford University begegnet. Sorenson war ein hervorragender Physiker und ein erfolgreicher Footballspieler am College gewesen, was selbst für damalige Verhältnisse eine seltene Kombination war. In den siebziger Jahren machte er sich einen Namen in der Computerindustrie, vor allem als Förderer der jungen Genies, die in den Garagen von Silicon Valley herumwerkelten. Mitte der siebziger Jahre hatte er zusammen mit zwei dieser Talente das Softwareunternehmen Cicero Scientific gegründet, um es ein paar Jahre später mit stattlichem Gewinn zu verkaufen. Nun saß er im Aufsichtsrat zahlreicher aufstrebender amerikanischer und europäischer Computerunternehmen, die ihn interessierten. Als FairSystems im vergangenen Jahr an der NASDAQ plaziert worden war und einen angesehenen Aufsichtsratsvorsitzenden gebraucht hatte, hatte mein Vater seinem Sohn daher seinen alten Freund Walter Sorenson vorgeschlagen.
Sorenson hatte den Posten gern übernommen. Virtuelle Realität war die Technologie der Zukunft, und
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