Tödliche Beute
drohte.
Green war von Bens Intelligenz und Begeisterung so angetan gewesen, dass er ihn als Forschungsassistenten ins Büro der SOS geholt hatte.
Der schlaksige Umweltschützer war nur wenige Jahre älter als der stämmige Indianer. Schon nach kurzer Zeit wurden sie nicht nur Kollegen, sondern gute Freunde, was vor allem Nighthawk viel bedeutete, denn er kam nur selten nach Hause. Seine Familie lebte am Ufer eines großen Sees in einer abgelegenen und fast unzugänglichen Gegend Ostkanadas. Die Dörfler hatten gemeinschaftlich ein Wasserflugzeug erworben, das einmal pro Woche zur nächstgelegenen Stadt flog, um Vorräte zu holen und die Post zu transportieren. Auch für eventuelle Notfälle waren sie auf diese Weise gerüstet.
Bens Mutter hatte ihn über ein großes Bauprojekt am See auf dem Laufenden gehalten. Jemand errichtete ein Jagdanwesen, hatte Nighthawk bekümmert vermutet.
Genau diese Art von Bauvorhaben wollte er nach Ende seines Studiums unbedingt verhindern. Dann hatte er vor einer Woche einen beunruhigenden Brief erhalten, in dem von dunklen Machenschaften die Rede war. Seine Mutter bat ihn, so bald wie möglich heimzukommen.
Green sagte, er solle sich so viel Zeit lassen wie nötig.
Ein paar Tage nach seinem Aufbruch meldete Nighthawk sich aus Kanada. Er klang verzweifelt. »Ich brauche deine Hilfe«, bat er.
»Kein Problem«, erwiderte Green, der annahm, seinem jungen Freund seien die Mittel ausgegangen. »Wie viel soll ich dir schicken?«
»Es geht nicht um Geld. Ich mache mir Sorgen um meine
Familie!
«
Nighthawk erzählte, bei der Ankunft in der Nachbarstadt habe er erfahren, dass das Wasserflugzeug schon seit zwei Wochen nicht mehr gekommen sei. Die Leute nahmen an, es müsse wohl einen technischen Defekt gegeben haben, und rechneten damit, dass irgendwann jemand zu Fuß im Ort eintreffen würde, um Ersatzteile zu holen.
Ben lieh sich von einem dort ansässigen Verwandten einen Wagen und folgte der primitiven Straße, die zum Dorf führte. Er gelangte an eine Absperrung, die von finster blickenden Männern bewacht wurde. Man teilte ihm mit, das ganze Gelände sei inzwischen Privatbesitz.
Als er dennoch zu seinem Dorf durchgelassen werden wollte, zwangen die Kerle ihn mit erhobenen Waffen zur Umkehr und warnten ihn, er solle sich nicht noch einmal dort blicken lassen.
»Das begreife ich nicht«, hatte Green am Telefon gesagt.
»Lebt deine Familie denn nicht in einer Reservation?«
»Von unserem Volk war damals kaum jemand mehr übrig. Das Land gehörte einem großen Papierkonzern.
Technisch gesehen waren wir illegale Siedler, aber die Firma hat uns geduldet und den Stamm sogar in ihren Werbeanzeigen erwähnt, um sich ein gutes Image zu verschaffen. Dann wurde das Land verkauft, und die neuen Eigentümer arbeiten seitdem an einem großen Projekt auf der anderen Seite des Sees.«
»Das Land gehört ihnen; sie können machen, was sie wollen.«
»Ich weiß, aber das erklärt nicht, was aus meinen Leuten geworden ist.«
»Gutes Argument. Hast du die Behörden verständigt?«
»Als Allererstes. Ich bin zur Provinzpolizei gegangen.
Die sagten mir, ein Anwalt aus der Hauptstadt habe ihnen mitgeteilt, das Dorf sei geräumt worden.«
»Aber wo sind die Einwohner geblieben?«
»Das hat die Polizei ihn auch gefragt. Der Anwalt behauptete, mein Stamm sei weitergezogen und würde mittlerweile wohl unbefugt auf dem Grund und Boden eines anderen Eigentümers siedeln. Du musst wissen, dass meine Leute hier als verschrobene Sonderlinge gelten. Die Polizei sagt, man könne nichts für mich tun. Ich brauche Hilfe.«
Während sie sprachen, zog Green seinen Kalender zu Rate. »Ich komme morgen mit der Firmenmaschine«, sagte er. Den SOS stand ein geleaster Learjet zur Verfügung.
»Bist du sicher?«
»Wieso nicht? Da Marcus in Dänemark festhängt, bin ich nominell der Chef hier, und um ehrlich zu sein, es macht mich verrückt, ständig Egos streicheln und Revierkämpfe schlichten zu müssen. Sag mir, wo du steckst.«
Green hielt Wort und flog am nächsten Tag nach Quebec. Dort stieg er auf einen Regionalflug um und gelangte an Bord der kleinen Maschine in die Stadt, aus der Nighthawk ihn angerufen hatte. Ben erwartete ihn auf dem winzigen Flughafen, samt Campingausrüstung und fahrbereitem Wagen. Einige Stunden lang folgten sie dem Verlauf einsamer Schleichpfade und übernachteten in freier Natur.
Als Green im Schein der Campingleuchte die Landkarte studierte, sah er, dass der Wald ein
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