Toedliche Blumen
Vorahnung befallen. Sie schaute sich den Namen etwas genauer an.
Dieser Tag zählte nicht gerade zu jenen, an denen sie mit Lockerheit und professionellem Geschick böse Überraschungen und Unannehmlichkeiten meistern konnte. Rein fachlich gesehen, sah sie sich der einen oder anderen Komplikation durchaus gewachsen. Sie hasste das Wort »professionell«. Verabscheute seine Widersprüchlichkeit. Der Mensch als ständig gut getrimmter Motor.
Doch sie war müde und fühlte sich keineswegs souverän. Am gestrigen Abend war sie mit einer quengelnden Klara nach Hause gekommen, die so überdreht war, dass es eine gute Stunde gedauert hatte, sie zu Bett zu bringen. Danach hatte sie lange neben Claes gelegen und sich bis spät in die Nacht hinein mit ihm unterhalten und dabei versucht zu verdrängen, dass sie am nächsten Morgen früh aufstehen musste. Er hingegen, der Glückliche, hatte ja frei. Zu guter Letzt begann Klara irgendwann zu weinen, woraufhin Claes sie in ihr gemeinsames Bett holte, wo sie unruhig weiterschlief und dermaßen strampelte, dass Veronika kaum ein Auge zubekommen hatte.
Direkt nachdem sie morgens in die Klinik gekommen war, ereilte sie gleich ein Tiefschlag. Sie hatte im Archiv nach der Akte des verschwundenen Mädchens gefragt. Sie wollte sich vergewissern, was genau im Arztbericht stand und was möglicherweise zwischen den Zeilen zu lesen war. Daniel Skotte hatte den Bericht diktiert, wenn sie sich richtig erinnerte. Doch die Akte lag leider zur Abschrift bei einer der Sekretärinnen, wie sie erfuhr. Es war gerade mal eine gute Woche vergangen. Doch man versprach, sie ihr noch am selben Tag zukommen zu lassen.
Ganz hinten im Korridor, vor dem Wartezimmer, in dem Bereich, der zu den Fahrstühlen führte, stand gerade ihr Chef, Petrén. Dieser Teil des Korridors lag im Halbdunkel, und dennoch konnte sie alles gut erkennen. Wie in einer kleinen Formation, einer Insel, wurde sie plötzlich der neuen inneren Struktur der Klinik gewahr, die Kollegen wie Else-Britt bereits versucht hatten zu beschreiben. Petrén in so genannter trauter Dreisamkeit mit den beiden neuen Oberärzten. Zwei alte Kameraden, handverlesen von ihm selbst. Petrén war von der Statur her am stattlichsten, einer von ihnen wirkte neben ihm sogar ziemlich klein, obwohl er breitschultrig war, doch ihrer Physiognomie zum Trotz waren sie sich ziemlich ähnlich. Die Eleganz, der Stil, die bewusste Körperhaltung. Manchesterhosenbeine beziehungsweise dunkelblaue Chinos unter dem Arztkittel und dazu blank geputzte Schnürschuhe. Bald, nämlich wenn die warme Jahreszeit kam, würde es Zeit für Segelschuhe werden, dachte sie leicht sarkastisch. Die Situation kam ihr irgendwie bekannt vor, nahezu klassisch, ein Triumvirat. Und gleichsam unglaublich dünkelhaft, jedenfalls für ihr Empfinden.
Endlich eilte die Schwesternhelferin in ihrem weißen Kittel herbei. Hinter ihr folgte der besagte Patient, ein groß gewachsener Mann mit großen Schritten und federndem Gang, bedeutend sicherer und gleichzeitig welpenartiger in seinem Auftreten als beim letzten Mal. Er bewegte sich wie ein sehr junger Dandy, aber sie wusste, dass er die vierzig längst passiert hatte.
Sie bat ihn ins Untersuchungszimmer und schloss die Tür. Sein Gesicht wirkte, abgesehen von den Verletzungen, windgegerbt. Oder vielleicht handelte es sich auch um einen beginnenden oder wahrscheinlich eher fortgeschrittenen Alkoholismus, der ihm diese dunkelrote Nuance verlieh. Seine Jacke war feucht. Er roch nach Wald.
»Hallo!«, begrüßte sie ihn und ging davon aus, dass er sie wiedererkannte. »Setzen Sie sich doch!«
»Hallo«, entgegnete er und nahm auf der mit grauem Kunststoff bezogenen Behandlungsbank Platz.
Die Wunden in seinem Gesicht waren relativ gut geheilt. Nur schade, dass die beiden Schneidezähne fehlten. Ansonsten sah er recht ansprechend aus. Ein gut gebauter Mann mit einem entwaffnenden Händedruck und einem Lächeln, das man gratis dazubekam, auch wenn er heute ein wenig rastlos wirkte.
»Haben Sie es eilig?«, fragte sie.
»Ja, bin ein bisschen unter Druck«, antwortete er.
Obwohl sein Lächeln mit einem dunklen Schatten versehen war, gelang es ihm höchstwahrscheinlich mit Leichtigkeit, mehr als einer Frau den Kopf zu verdrehen, nahm Veronika an.
»Wie geht’s?«
»Man kann nicht klagen.«
»Das ist gut. Legen Sie sich bitte hin, sodass ich Ihnen die Fäden ziehen kann. Wie steht’s um die tauben Stellen? Können Sie einigermaßen kauen?«
»Kein
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