Toedliche Blumen
nur ein paar Minuten sprechen«, erklärte er und wandte sich Johansson im Halbdunkel des Flurs zu.
Die Lampe schien ein Modell zu sein, das kaum sich selbst erhellte. Oder die Glühbirne besaß einfach zu wenig Watt. Johansson wirkte irgendwie nervös. Er fummelte mit seinen Fingern an einer Narbe an der Oberlippe und sah aus, als benötigte er dringend eine Dusche und eine Extraportion Schlaf.
»Tja, wir können uns hierher setzen«, schlug Johansson vor, schlenderte in die Küche und faltete die Abendzeitung Aftonbladet zusammen, ließ sie aber auf dem Küchentisch liegen. Lundin ahnte, warum. Die Hälfte des Fotos von Johansson auf der Titelseite zeigte nach oben, und das war wohl auch beabsichtigt. Eine geöffnete Bierdose stand daneben. Auf der Fensterbank plärrte das Radio. Ein ziemlich ermüdendes Gedudel beschallte den Raum und überschritt bei weitem das Maß, das Lundin nach einem langen Arbeitstag bereit war zu ertragen. Er bat Johansson, das Gerät abzuschalten, was er ohne Widerrede tat.
Lundin setzte sich. Er strahlte eine gewisse Autorität und eine Kompetenz aus, die Johansson unmöglich entgehen konnten und unmittelbar ihre Wirkung entfalteten. Seine Körpergröße, das Alter und nicht zuletzt sein ruhiger und professioneller Blick sprachen für sich. Sein Auftreten bewirkte unter anderem, dass Johansson nicht einmal wagte zu protestieren. Im Gegenteil, er saß brav auf seinem Stuhl, wie ein Hund, dem man befohlen hatte, Platz zu machen. Mit dem Schwanz wedelte er jedoch nicht. Das wäre auch zu viel verlangt. Lundin würde dennoch aus ihm herausbekommen, was er wissen wollte.
Johansson taxierte ihn mit seinem Blick und wartete auf seine Fragen.
Lundin rechnete im Allgemeinen nur selten damit, dass die Leute die Wahrheit sagten. Auf der anderen Seite war ihm klar, dass es kaum möglich war herauszufinden, wann sie logen. Bisher hatte jedenfalls noch keine Studie erwiesen, dass man es den Menschen ansehen konnte. Also entschied er sich für die Variante, so lange davon auszugehen, dass sie logen, bis das Gegenteil bewiesen war. Im Übrigen war es nicht immer so leicht mit der Wahrheit. Zwischen dem, was sich als wahr und falsch erwies, existierte eine nicht zu unterschätzende Grauzone, aus der er letztlich das Weiße herausfischen musste. Das, was wahr, aber aus dem einen oder anderen Grund nicht ausgesprochen, zurückgehalten oder gar übersehen wurde.
»Das Mädchen … Viktoria … Ich habe gehört, dass Sie in irgendeiner Weise mit ihr in Verbindung stehen. Ich meine natürlich nicht mit ihrem Verschwinden, denn ich weiß ja, dass Sie in einem Suchtrupp unterwegs waren. Aber ansonsten?«, fragte Lundin, ohne seine Augen auf das Bild in der Zeitung zu richten.
»Ja«, antwortete Johansson und fingerte weiter an dem Schorf an seiner Oberlippe. »Das ist nicht so leicht, das Ganze«, begann er. »Sie ist … ja … wie soll ich sagen. Ihre Mutter hatte über einen Rechtsanwalt von sich hören lassen, bevor das Ganze passiert ist. Sie behauptet, dass ich der Vater bin.«
Ein paar blaue Augen blickten Lundin nervös an, der wiederum nickte.
»Und sind Sie das?«
»Sie behauptet es jedenfalls.«
»Und was sagen Sie selbst?«
»Tja«, entgegnete Johansson gedankenverloren. »Das ist nicht so leicht zu ergründen.«
»Nein.«
Johansson legte seine Hände auf die Tischplatte und verschränkte seine langen Finger ineinander.
»Es ist ja immerhin eine ganze Weile her. Nicht im Leben würden Sie sich erinnern, mit wem Sie vor elf Jahren zusammen waren!«, behauptete er und war sichtlich auf die Bestätigung Lundins aus.
Die er jedoch nicht erhielt. Lundin hingegen erinnerte sich nämlich sehr gut, mit wem er sich wann im Bett gewälzt hatte. Selbst vor elf Jahren. Denn auch zu dieser Zeit gab es für ihn keine andere als seine Mona. So einfach war das. Aber das gehörte natürlich nicht zu den Dingen, die er Johansson unter die Nase zu reiben gedachte.
»Wie war das für Sie, als sie von sich hören ließ? Viktorias Mutter, meine ich?«
»Zuerst war ich natürlich stinkwütend. Eine Schweinerei, so viel später damit anzukommen. Sie war anscheinend nur auf Geld aus.«
»Aha. Und jetzt?«
»Seitdem sie verschwunden ist, denke ich ein wenig anders darüber.«
»Wie meinen Sie das?«
»Es ist fast so, als sei sie tatsächlich mein Kind. Besonders, nachdem ich ihr Gesicht auf den Plakaten gesehen habe. Das Mädchen macht einen völlig verängstigten Eindruck. Ich begann mich ernsthafter
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