Toedliche Blumen
stehenden Text nicht lesen konnte. Vor allem nicht ohne Brille. Johansson besaß sicherlich gewisse Qualitäten, um für einige Zeit das Hätschelkind der Presse zu werden, schätzte er. Zumindest für einige Tage. Er hatte alles, was die Leser interessierte. Ein Vater, der über seine Vaterschaft in Unwissenheit gelassen wurde und der jetzt wie ein Robin Hood hervortrat und buchstäblich um seine verschwundene Tochter kämpfte. Vielleicht würde das Ganze sogar ein glückliches Ende nehmen, auch wenn es nicht gerade der Zielsetzung der Abendzeitungen entsprach, die sich mehr auf Katastrophen eingeschossen hatten.
»An eine Sache erinnere ich mich ganz schwach«, sagte Johansson vage. »Aber ich weiß nicht, ob sie etwas zu bedeuten hat. An dem Tag, als Doris erschlagen wurde, hatte tatsächlich jemand an meiner Tür geklingelt.«
Da sieht man mal, dachte Lundin. Alles kommt irgendwann ans Licht.
»Haben Sie geöffnet?«, wollte Lundin wissen.
»Nein. Das ganze Badezimmer lag ja in Scherben. Ich hatte diese verdammte Glaslampe fallen lassen und war gerade dabei, den Scheiß aufzufegen. Und dann musste ich noch in die Waschküche wegen Alicia. Aber das wissen Sie ja alles. Ich habe es schon hundertmal auf der Wache erzählt.«
Er kniff seine Lippen zusammen. Man sah ihm an, dass er nicht gewillt war, die Geschichte noch einmal zu berichten.
»Sie haben also einer Schülerin, die Maiblumen verkaufen wollte, nicht geöffnet?«, fragte Lundin beharrlich.
»Nein, wie ich schon sagte. Ich habe sie nie gesehen, bevor ihr Bild in der Zeitung auftauchte. Außerdem habe ich überhaupt keinen Grund, deswegen zu lügen! Ich weiß, dass sie bei den Nachbarn geklingelt hat und dort Maiblumen verkauft hat. Nicht an alle vielleicht … aber … aber hier war sie jedenfalls nicht.«
»Was würden Sie sagen, wenn sich erweisen sollte, dass sie Ihre Tochter ist?«
Die Frage war mehr philosophischen Charakters, aber Lundin konnte sich nicht verkneifen, sie zu stellen.
»Tja, was soll ich sagen?!«
Johansson blickte düster nach unten auf seine kaputten Strümpfe. Er saß schräg vor dem Tisch, den Ellenbogen auf das Aftonbladet gestützt und die Beine vor sich auf dem verschlissenen Flickenteppich ausgebreitet. Auf der Spüle standen nicht weniger als fünf ausgetrunkene Bierdosen neben einer Flasche mit Spülmittel und einer Rolle Haushaltspapier, doch ansonsten war die rostfreie Oberfläche sauber. Johansson fühlte sich offensichtlich am wohlsten mit einer gewissen Ordnung um sich herum.
»Etwas ganz anderes noch, bevor ich gehe«, wechselte Lundin das Thema. »Mit wem haben Sie sich eigentlich auf diesem Fest gestritten? Dieses Kostümfest oder was es war?«
»Ach! Weiß der Teufel, wie er hieß. Er war einfach nur verdammt provokant.«
»Ja?«
»Ja. Er hat mich gereizt. Verlangte geradezu nach Schlägen.«
»Jetzt aber raus mit der Sprache. Wer war er?«
»Ein kleines Häufchen Scheiße. Voll wie eine Haubitze und obendrein ein schrecklicher Spötter. Ziemlich schmächtiger Typ. Er hat sich an die Frau, mit der ich gekommen war, herangemacht und baggerte sie an. Sein Name war jedenfalls recht gewöhnlich.«
Er studierte erneut seine Zehen, die wie kleine Frühkartoffeln aus seinen Socken hervorlugten.
»Per oder Jan oder irgendwas in der Richtung.«
»Nachname?«
Schulterzucken.
»Keine Chance, es aus mir herauszubekommen. Ich weiß es nämlich nicht. Fragen Sie Alicia Braun.«
Das hatten sie bereits getan, aber auch sie wusste nicht, wie er hieß. Außerdem hatte er sich nach der Schlägerei ziemlich schnell vom Acker gemacht. Als gehörte er nicht dorthin.
Louise stand in der Küche und buk Pfannkuchen, ein Gericht, das es gab, wenn sie es nicht geschafft hatte einzukaufen. Eier und Milch hatten sie eigentlich immer vorrätig. Und Marmelade. Sowohl Erdbeer- als auch Himbeer- und sogar Waldbeermarmelade. Ihr stand gerade der Sinn nach Pfannkuchenbacken, und ihre Pfannkuchen gerieten eigentlich immer perfekt, goldbraun und mit knusprigen Rändern. Die Mädchen konnten nie genug davon bekommen, und sie freuten sich jedes Mal, wenn sie die Pfannen hervorholte. Sie benutzte zwei gleichzeitig, sodass ihre Töchter nicht sitzen und warten mussten. Sie selbst verzichtete heute lieber, und das nicht, weil sie ihr zu kalorienreich waren. Es verhielt sich eher so, dass sie nur mit Müh und Not den Geruch von gebratenem Fett ertragen konnte. Aber bald würde die Übelkeit ein Ende haben.
Gabriella hatte Kerzen
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