Toedliche Blumen
er sie vor langer Zeit rausgeschmissen hatte. Oder weil sie offenbar nicht dazu taugte, sich um seine Töchter zu kümmern.«
Es war an der Zeit, die andere Roos-Tochter aufzusuchen. Clary. Peter Berg bat Erika, kurz bei Lundin anzurufen und sich zu erkundigen, ob er Kjell E. Johansson schon verhört hatte. Sie bekam ihn sofort an die Strippe. Lundin hatte sich jedoch noch nicht auf den Weg gemacht, weil er davon überzeugt war, dass Johansson entweder Fenster putzte oder sich im Zusammenhang mit der Suche nach Viktoria noch im Wald befand. In einem der Suchtrupps unterwegs war. Wahrscheinlich würde er später am Abend eher erreichbar sein.
»Sie lebt wohl nicht mehr.«
»Wahrscheinlich. Auch wenn es einem schwer fällt, das zu glauben.«
Sie bogen auf einen Parkplatz für Anwohner und suchten der Ordnung halber nach einer Parklücke für Besucher.
»Ist der nicht grün?«, rief Erika plötzlich und schaute durch die Seitenscheibe auf einen dunklen Renault.
»Der auch«, entgegnete Peter Berg und zeigte auf ein anderes, ein Stück entfernt stehendes Fahrzeug.
»Was für eine Marke ist das?«
»Renault.«
»Also noch einer!«
»Aber es sind zwei unterschiedliche Modelle.«
Sie hegten keine größeren Hoffnungen, Clary Roos oder ihren Freund Per Olsson zu Hause anzutreffen. Und sie sollten Recht behalten.
Als sie wieder aus der Haustür traten, war einer der beiden Renaults verschwunden.
»Erinnerst du dich zufällig an die Autonummer?«, fragte Peter Berg.
»Verdammt!«, fluchte sie. »Wie konnten wir nur so dumm sein?«
Keiner von ihnen hatte sie notiert.
Veronika Lundborg machte es sich auf dem Sofa bequem, zog das Plaid über die Beine, schaltete die Stehlampe an und zündete die beiden Teelichter in den dunkelblauen Gläsern auf dem Tisch an. Klara schlief, und Claes war draußen, um eine kurze Runde in der Dämmerung zu joggen. Im Haus war es still. Veronika hatte ein Buch vor sich liegen, griff jedoch bald zur Fernbedienung und schaltete die Abendnachrichten an, wo das Weltgeschehen weitab vom heimischen Krankenhaus präsentiert wurde. Probleme eines ganz anderen Kalibers. Massenvernichtungswaffen, Hungerkatastrophen, brennende Wolkenkratzer, Dächer, die einstürzten und Massen von Menschen unter sich begruben. Firmengebäude, die aufgrund von Wasserschäden mit Dränageleitungen versehen werden mussten, fingierte Krankschreibungen, betrogene Menschen und schließlich Politiker mit entschlossenen Gesichtern, aalglatt und offenbar unschuldig, in perfekt sitzenden Anzügen und dazu passenden dunkelblauen Krawatten. Veronika konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sie alle gleich aussahen. Unattraktiv, weil es ihnen an Profil und festem Boden unter den Füßen fehlte. Sie wagten es nicht, den Menschen in die Augen zu schauen. Kümmerten sich nur um die Zahlen auf ihren Laptops oder lächelten geradewegs in die Fernsehkameras. Angepasst. Genau wie sie selbst sich manchmal fühlte, wenn der Druck zu stark wurde und sie zu viele Patienten innerhalb eines kurzen Zeitraums zu behandeln hatte, wenn sie ihrer überdrüssig wurde und ihr zum Schluss alles nur noch banal erschien. Dann kam es vor, dass sie in Konflikt mit ihrer Glaubwürdigkeit geriet.
Kurz bevor die Lokalnachrichten angekündigt wurden, hörte sie Claes die Haustür aufschließen. Er keuchte und schnaufte im Flur. Die Tür fiel mit einem dumpfen Schlag ins Schloss.
»War es gut?«, rief sie ihm halblaut vom Sofa zu.
»Ja. Genau das, was ich gebraucht habe«, hörte sie ihn zufrieden stöhnen. »Am Ende hab ich noch einen Schlusssprint hingelegt. Mich völlig verausgabt …«
»Warte«, unterbrach sie ihn. »Im Fernsehen geht es um das Mädchen.«
Janne Lundin präsentierte sich auf der Mattscheibe, sicher und wie die Ruhe selbst. Er war daran gewöhnt, in den Medien aufzutreten, da er schon seit langen Jahren als Pressesprecher der Polizei fungierte. Claes kam in Socken über den Fußboden gelaufen und hinterließ feuchte Flecken auf dem Parkett. Mit dem Blick auf den Fernseher gerichtet, hockte er sich mit einem Knie auf den Teppich, streckte das andere Bein nach hinten und begann seine Muskeln zu dehnen. Der Schweiß rann, sein Gesicht war knallrot und sein T-Shirt völlig durchgeschwitzt.
Nach fast drei Tagen und Nächten hatten sie die zehnjährige Viktoria immer noch nicht gefunden. Der Reporter wirkte ernst und Lundin noch ernster. Noch immer fehlte jede Spur von dem Mädchen, obwohl die Suchaktion sorgfältig
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