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Toedliche Blumen

Toedliche Blumen

Titel: Toedliche Blumen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wahlberg
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abgebrochen hatte, als er die Treppen hinabgestürmt war, wie er selbst erzählte. »Lauft nie die Treppen hinunter!«, warnte er sie stets. »Und wenn ihr doch einmal die Treppen hinunterlaufen solltet, dann lasst nie die Hände in den Hosentaschen!« Daran musste Viktoria jedes Mal denken, wenn sie selbst Treppen hinunterlief. Immer wenn sie sich seinen Sturz vorstellte, verspürte sie geradezu selbst den Schmerz, sodass sie gezwungen war, ihre Lippen schützend über die Zähne zu ziehen.
    Linas Brüder aßen Schokopops mit Milch und blätterten nebenher in ihren Heften. Sie schauten kaum auf. Beide waren älter als Lina. Der eine hatte ebenso dunkles krauses Haar wie sein Vater, während der andere blond war und glattes Haar hatte, so wie Lina. Linas Mama trug einen türkisfarbenen Morgenmantel mit einem blumengemusterten Nachthemd darunter. Ihr langes blondes Haar war im Moment ziemlich zerzaust, und sie hatte den Kleinsten auf dem Arm, der gerade die Flasche bekommen sollte.
    Lina kaute an ihrem Toast. Sie war bereits beim vierten angekommen, den sie mit Butter und Erdbeermarmelade bestrich. Sowohl in ihren eigenen als auch in Viktorias Becher hatte sie Milch gegossen und sie dann mit Kakaopulver verrührt. Viktoria versuchte, ein paar Schlucke hinunterzubringen.
    Bei Lina zu Hause war es eng. Außerdem ging es ziemlich turbulent zu. Linas Papa hatte einmal scherzhaft gemeint, dass das Haus gerade mal für zwei Kinder, aber keineswegs für vier gebaut sei. Oder, besser gesagt, für anderthalb Kinder, denn die Deckenhöhe im oberen Stockwerk schien eher für Pygmäen geeignet. Er sagte, dass dem Haus in jeder Richtung ein Meter fehle. Zu kurz, zu schmal und zu niedrig. So sparsam baute man direkt nach dem Krieg, dem Zweiten Weltkrieg also, wo Baustoffe teuer waren.
    »Hast du denn schon zu Hause gefrühstückt?«, wollte er jetzt wissen und richtete seinen Blick auf Viktoria.
    »Ein bisschen.«
    »Naja, dann!«
    Seine Kaumuskeln setzten sich in Bewegung. Er leckte ein wenig geschmolzene Butter von seinen dicken Fingern ab.
    »Dann will ich dich nicht weiter drängen. Ihr könnt spielen gehen.«
    Lina besaß kein eigenes Zimmer, aber immerhin einen eigenen Bereich. Ihr Papa hatte ihn mit Bücherregalen abgetrennt. So hatte sie zwar ganz hinten in dem niedrigen Zimmer im Obergeschoss ihre eigene Ecke unter der Dachschräge, doch ihre Brüder bekamen alles mit, wenn sie und Lina sich unterhielten. Manchmal störte es sie, doch irgendwann kümmerten sie sich nicht mehr darum, bis einer der Jungen eine dumme Bemerkung machte.
    Heute mussten Linas Brüder jedoch zum Training. Sie spielten Eishockey und besaßen deshalb außer ihren Schlittschuhen riesige Taschen mit Helmen und Knieschützern und allen möglichen anderen Utensilien.
    Wenigstens einen Bruder hätte Viktoria schon gern gehabt. Lina hatte drei und sie selbst überhaupt keinen. Jedenfalls soweit sie wusste. Sie wusste nämlich nicht so genau, wer ihr Vater war. Nur dass es sich um einen Tollpatsch handelte. Das hatte Mama einmal gesagt, als sie böse auf Viktoria war. Nämlich dass sie genau so dumm wie ihr Vater, der Tollpatsch, war. Mama hatte ihre Worte sofort bereut und versucht, sie zurückzunehmen, doch da waren sie bereits ausgesprochen.
    Vielleicht war der Mann ihr Vater, den sie auf dem Foto gesehen hatte, das Mama in einer Kiste mit ihren eigenen Spielsachen im Keller aufbewahrte. Diese Sachen durfte sie eigentlich nicht anrühren. Aber das war auch nicht weiter schlimm, denn sie gefielen ihr sowieso nicht. Das hatte sie Mama einmal an den Kopf geworfen, als sie sich über sie geärgert hatte, woraufhin Mama sie als verwöhntes Gör beschimpft hatte.
    Ihr Magen tat immer noch weh. Schlapp setzte sie sich auf Linas Bett, während Lina sich anzog. Als Lina auf die Toilette ging, legte sich Viktoria vorsichtig mit dem Oberkörper auf das Bett und ließ den Kopf aufs Kissen fallen. Es fühlte sich so angenehm weich an. In Gedanken sank sie immer tiefer. Eigentlich hatte sie die ganze Nacht nicht richtig geschlafen.
    Als Lina zurückkam, musste sie feststellen, dass mit ihrer besten Freundin nicht mehr viel anzufangen war, da sie tief und fest schlief. Ihr Kopf lag auf dem Kissen, während ihre Füße noch auf dem Teppich standen. Lina sog an ihrer Unterlippe. Das hatte sie noch nie erlebt.
    Lina hob Viktorias Füße hoch und legte sie vorsichtig aufs Bett. Dann ging sie hinunter zu ihren Eltern. Vielleicht könnte sie eine Weile auf ihren kleinen

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