Toedliche Blumen
dem Impuls widerstanden, sich zum Kinderbett vorzutasten, ihr über die Pausbäckchen zu streichen und einen Kuss auf die Stirn zu drücken, da die Gefahr, dass sie davon aufwachte, zu groß war. Ebenso ließ sie Claes weiterschlafen, der auf der Seite lag und mit offenem Mund vor sich hin schnarchte.
Über dem Garten lag ein mildes Morgenlicht. Die Wolken hatten sich ein wenig gelichtet, und es würde vermutlich bald ganz aufklaren. Ein Geruch von feuchter Erde schlug ihr entgegen. Kräftig und erfrischend.
Sie schloss ihr Fahrrad auf, schob es über den Gartenweg und stellte fest, dass die Obstbäume noch nicht beschnitten waren. Claes hatte angekündigt, dass er es in dieser Woche in Angriff nehmen wollte. Sie selbst hatte irgendwann eingesehen, dass sie es aus Zeitgründen ihm weder abnehmen noch ihm dabei helfen könnte, und vorgeschlagen, jemanden kommen zu lassen, doch Claes hatte es abgelehnt. Nun müsste er sich aber allmählich darum kümmern, dachte sie und setzte sich auf den Sattel.
Der Personalraum der Notaufnahme lag genau an der Schnittstelle, an der die beiden Gebäudekomplexe aneinander grenzten. Daher drang so gut wie kein Tageslicht in diesen dunklen Winkel. Doch die Wände waren frisch gestrichen, die Möbel aus hellem Holz und Sofa wie auch Sessel mit taubenblauem Stoff bezogen, sodass die Atmosphäre im Raum keineswegs düster oder beklemmend war. Die Kaffeemaschine blubberte, als der letzte Rest Wasser durch den Filter rann. Veronika goss sich einen halben Becher Kaffee ein.
Es war zwei Minuten nach neun. Rheza Parvane, der inzwischen dunkle Ringe unter den Augen hatte und unrasiert war, wollte möglichst schnell nach Hause. Daniel Skotte, der ihn ablöste, wirkte hingegen wie aus dem Ei gepellt.
»Möchtet ihr auch?«, fragte sie mit der Kaffeekanne in der Hand.
Daniel Skotte nahm einen Becher aus dem Schrank und hielt ihn ihr entgegen.
»Nein, danke«, sagte Rheza genau wie am Tag zuvor, doch heute Morgen hatte Veronika ein gewisses Verständnis dafür.
»Man schläft so schlecht danach«, lächelte sie ihn an. »Gab es heute Nacht viel zu tun?«
»Ihr habt doch diesen Waschküchenfall aufgenommen, oder?«, fragte Daniel Skotte neugierig und gleichzeitig eine Spur neidisch.
Er wäre sicher gerne dabei gewesen, vermutete Veronika. Außergewöhnliche medizinische Fälle sorgten immer für einen gewissen Reiz im Alltagstrott der Notaufnahme. Vor allem für einen relativ frisch gebackenen Arzt, der noch längst nicht mit allen Diagnosen konfrontiert worden war. Ansonsten stellte die Notaufnahme den unbeliebtesten Bereich der gesamten Klinik dar. Nicht umsonst wurde sie »Grube« oder »Grotte« genannt. Und die Kollegen achteten akribisch darauf, dass der Dienst in dieser Abteilung möglichst gerecht unter allen Mitarbeitern aufgeteilt wurde. Und dennoch waren alle Ideen und Vorschläge zur Verbesserung des Images, die im Laufe des Jahres die Runde gemacht hatten, im Sande verlaufen. Sie hatten sich einfach mangels Initiative in Luft aufgelöst. Mit anderen Worten: Alles blieb beim Alten.
»Ich hab in der Allgemeinen darüber gelesen. Ist ja unglaublich!«, versuchte Skotte es erneut.
Rheza nickte.
»Wir kommen später darauf zu sprechen«, sagte Veronika, noch bevor Rheza den Mund öffnen konnte. »Du willst dich bestimmt relativ schnell auf den Weg machen und hast wahrscheinlich noch über einige andere Fälle zu berichten, oder?«
»Ja. Ich war mehrfach wach heute Nacht.«
»Du bist also oft aufgestanden?«
»Ja. Eine Art Fest. Mit komischen Kleidern. Viele Leute waren da. Auch viele Promille.«
Veronika und Daniel Skotte tauschten fragende Blicke aus.
»Maskerade«, fiel es Skotte ein. »Verkleidung? Gespenster, Könige, Supermen …!«
Rheza schaute ihn zweifelnd an.
»Zauberer, Hexen … Scheichs«, setzte Daniel Skotte hinzu, doch Rheza blickte ihn nur aus müden und leeren Augen an. »M-a-s-k-e-r-a-d-e«, sagte Skotte langsam und gedehnt in einem letzten Versuch, wobei er Daumen und Zeigefinger zu Kreisen formte und sie vor die Augen hielt.
»Ja, genau«, nickte Rheza und lachte. »Maskerade. Einige hässliche Menschen, viel Alkohol. Waren gestürzt und hatten sich vielleicht auch gegenseitig geschlagen.«
»Okay. Eine Schlägerei, natürlich. Immer wenn Alkohol im Spiel ist, bleibt die Vernunft auf der Strecke«, kommentierte Veronika trocken. »Und wo haben sie gefeiert?«
»Weiß nicht genau, aber ich glaube, Vergnügungspark.«
»Wahrscheinlich haben sie dort
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