Toedliche Brautnacht - Odo und Lupus Kommissare Karls des Grossen - Erster Roman
in diesem Mantel aufgetreten, und so sah sich Odo als sein Stellvertreter ad hoc berechtigt, ihn gewissermaßen aufzutragen. Seine majestätische Erscheinung stärkte unser aller Selbstbewusstsein, das wir hier nötig hatten, und verpflichtete uns, den schönen Eindruck, den unser Anführer machen würde, nicht zu verderben. Auch wir anderen wuschen, kämmten, bürsteten uns. Ich legte eine saubere Kutte an. Die Reittiere wurden geputzt und gestriegelt. Das alles nahm ziemlich viel Zeit in Anspruch, aber es störte uns niemand, und niemand hielt nach uns Ausschau oder trieb uns zur Eile an. Graf Waratto schien nicht begierig darauf zu sein, dass wir seine Wehrkraft verstärkten.
So stand die Sonne schon weit im Westen, als wir uns endlich in Bewegung setzten. Vorn ritt Odo auf Impetus. Ich folgte auf Grisel, einige Schritte zurück, eine Hand am Zügel, mit der anderen die eiserne Schatulle mit unserer Ernennungsurkunde haltend. An meiner Seite ritt Helko, der unsere Fahne trug, Fulk und die sechs Recken schlossen sich an. Den Schluss bildete der von Rouhfaz gelenkte Planwagen, auf dem Sparuna und Niklot sich vorerst weiter hinter Säcken, Fässern und Kisten versteckt hielten. Durch die Löcher im Plandach konnten sie gut beobachten, was draußen vorging.
Das Aufsehen, das wir schon bei unserer Annäherung machen wollten, verfehlten wir leider. Wir erreichten das Tor – es war verschlossen. Kein Wächter, kein Neugieriger ließ sich hinter dem hohen Palisadenzaun blicken. Auf Odos Rufe antwortete niemand. Unsere Recken trommelten auf ihre Schilde. Vergebens.
Was bedeutete das? Waren wir als „Verstärkung“ so unwillkommen, dass man uns nicht einmal einlassen wollte? Oder beobachtete man uns heimlich und fragte sich besorgt, was der überraschend pomphafte Aufzug des „jämmerlichen Haufens“ zu bedeuten hatte?
Einer unserer Männer hatte schließlich den rettenden Einfall. Dieser robuste, mit besonderer Lungenkraft ausgestattete Bursche war unser bester, geschicktester Jäger und hatte uns oft unterwegs mit Fleisch versorgt. Um das Wild aus seinen Verstecken zu locken oder um Vögel aufzuscheuchen, benutzte er eine uralte, halb verrostete Kriegstrompete, in die er ganz ungeübt hineinblies und greuliche Töne hervorbrachte. Er bat um Erlaubnis, erhielt sie und schmetterte los.
Mit dieser Musik erreichten wir endlich die sächsischen Ohren. Graf Roland kann mit seinem Signalhorn Olifant, als er bei Roncesvalles unseren Herrn Karl um Hilfe rief, nicht halb so viel Lärm gemacht haben. Über dem Tor erschien nun ein Zottelkopf nach dem anderen. Ein aufgeregtes Geschnatter hub an. Odo verlangte barsch im Namen unseres Herrn Kaisers Karolus Magnus Einlass und Unterkunft. Er musste die Forderung wiederholen, und dann dauerte es noch etwa zehnmal so lange, wie man ein Vaterunser betet, bis endlich das schwere hölzerne Tor unter Knarren und Quietschen geöffnet wurde.
Wir ritten durch ein Spalier von Gaffern hinein. Kaum waren wir drinnen, als uns Waratto entgegentrat. Man hatte ihn wohl eiligst benachrichtigt, und er war von einem Gelage herbeigeeilt, denn er hielt noch den Becher in der Hand, und ein Knecht lief mit der Kanne hinter ihm her. Unter denen, die mit ihm angerannt kamen, waren auch die beiden einander so unähnlichen Sachsen Remmert und Wido, der dicke Vater mit dem dünnen Sohn.
„Was bedeutet das?“, rief Waratto, ganz außer Atem. „Was soll dieser Lärm? Ist das ein übler Scherz?“
Odo in seinem Purpurmantel sagte kein Wort, blickte von der Höhe des Pferderückens stolz über ihn hinweg und forderte mich mit einer unendlich vornehmen Geste auf, unser Ernennungsschreiben vorzuweisen. Ich stieg von meinem Esel, nahm die Schatulle in beide Hände und trat feierlich auf den Grafen zu. Er stierte mich an, als wollte er mich erwürgen. Mit zeremonieller Langsamkeit langte ich nach dem Schlüssel, den ich am Gürtel hängen hatte, und öffnete das Kästchen.
Diesem entnahm ich das Pergament und reichte es ihm mit den Worten: „Das Schreiben hier wird Euch davon überzeugen, Herr Graf, dass wir nicht scherzen. Habt die Güte, es zu studieren. Unser allergnädigster Herr und Kaiser hat mir die erhabenen Worte selber diktiert.“
Letzteres traf nicht ganz zu, denn es handelte sich um ein von Herrn Einhard verfasstes Dokument, das wir in der Kanzlei schon mehr als hundertmal vervielfältigt hatten und das alle missi dominici bei sich trugen. Ich hatte es Rouhfaz zur Abschrift gegeben. So war
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