Toedliche Brautnacht - Odo und Lupus Kommissare Karls des Grossen - Erster Roman
sondern klares Latein sprechen, dass sie alle vorgeschriebenen Handlungen ausführen. Bei Chrok war also, wie zu erwarten, nichts zu bemängeln.
Besonders gefiel mir, dass auch der junge Messdiener und die Chorknaben mit ihren hellen Stimmen sehr schön lateinisch psalmodierten. Umso erstaunter war ich freilich, als ich nach dem „Ite, missa est“ die Kirche verließ und diese Knaben beieinanderstehen sah und laut miteinander reden hörte. Natürlich sprachen sie nicht mehr Latein, aber auch kein sächsisches Diutisk – sie sprachen Wendisch! Nach der langen Reise mit Sparuna und Niklot war ich in dieser Sprache schon so weit bewandert, dass ich das leicht erkennen konnte.
„Was sind das für Knaben?“, fragte ich Chrok. „Wo kommen sie her?“
„Nun ja, sie kommen von jenseits des Flusses“, erwiderte er, wobei er, ein wenig verlegen, wie mir schien, seine Hände knetete. „Es sind junge Obodriten. Sie haben dem Götzendienst abgeschworen, um den wahren Glauben zu bekennen.“
„Das taten sie doch sicher nicht freiwillig.“
„Natürlich bedurften sie meiner Hilfe.“
„Sind es Waisen?“
„Gewissermaßen.“
„Die Eltern?“
„Erwartet ein schweres Los.“
„Das heißt, sie wurden als Sklaven verkauft.“
„So ist es, leider. Ich konnte mit Gottes Hilfe verhindern, dass auch diese Kinder in die Fremde verschleppt wurden.“ Chrok blickte dankbar zum Himmel auf. „So unterweise ich sie, und wenn sie herangewachsen sind, werden sie zu ihrem Volk zurückkehren und das Wort Gottes verkünden.“
„Wo habt Ihr die Kinder aufgelesen, ehrwürdiger Vater? Bei Zelibor?“
Chrok seufzte und zögerte einen Augenblick mit der Antwort.
„In der Tat, so ist es“, sagte er dann. „Dort pflegt der Händler …“
„Der Händler Bromios.“
„Ja, das ist wohl sein Name. Er pflegt dort zu rasten, und wenn ich davon erfahre, beeile ich mich, dorthin zu gehen und für die Kinder zu bitten. Manchmal habe ich damit Erfolg.“
„Bei Bromios? Oder beim Grafen Waratto? Oder bei Remmert?“
„Natürlich bei Bromios. Das heißt, die Herren Waratto und Remmert zeigten sich meinem Anliegen gegenüber stets aufgeschlossen und unterstützten es.“
„Die beiden wissen also von diesen Sklaventransporten über den Stützpunkt Zelibor.“
„Das müssen sie wohl. Man kann den Handel mit Menschen beklagen, aber er ist nun mal nicht verboten. Der Händler hat eine kaiserliche Genehmigung, mit seiner Ware – auch der menschlichen – über die Straßen des Reichs zu ziehen.“
„Das heißt, Waratto und Remmert erheben nur die üblichen Zölle.“
„So wird es wohl sein.“
„Und wer verschafft dem Händler die Ware?“
„Das weiß ich nicht“, sagte der Bischof gedehnt, „ich will es auch nicht wissen. Wozu? Ich frage die Knaben nicht, und ich glaube, sie haben auch keine Erinnerung daran, wie das zuging. Drüben, am anderen Ufer, herrscht große Armut. Manche Familienväter verkaufen sich, wie man hört, sogar selbst. Sie ziehen für sich und die Ihrigen das Sklavenjoch vor, ehe ihnen noch Schlimmeres widerfährt.“
„Könnte es sein, dass zurzeit bei Zelibor eine große Anzahl wendischer Sklaven darauf wartet, dass der Händler kommt und sie abholt?“
„Auch davon weiß ich nichts. Nein, auf diese Frage kann ich Euch keine Antwort geben.“
Mehr war aus dem guten Bischof nicht herauszuholen, und ich versuchte es auch nicht. Er musste froh sein, hier geduldet zu werden, und tat wohl nur, was ihm unter den obwaltenden Umständen möglich war. Er rettete einige Knaben vor dem Messer obskurer Chirurgen, die dafür sorgen würden, dass sie als Verschnittene auf den großen Sklavenmärkten des Orients und des Okzidents für ein Vielfaches dessen, was sie gekostet hatten, weiterverkauft werden konnten. Außerdem erzog er sie zu guten Christen.
Wir drei Kirchgänger eilten hinunter zum Fluss. Dort wurde gerade unser Wagen auf das Floß geschoben. Odo leitete die umständliche Verrichtung und packte selber kräftig mit an. Sparuna und Niklot verbargen sich immer noch zwischen unserem Gepäck. Odo glaubte zwar nach wie vor, dass ihnen niemand etwas zuleide tun würde, solange sie sich an seiner Seite hielten, doch hatte ich mich mit der Warnung durchgesetzt, dass sie ein Unbesonnener trotzdem angreifen könnte und daraus neue Gefahren für uns entstehen würden. Wir mussten die beiden unbedingt heil ans andere Ufer bringen, schon zu unserer eigenen Sicherheit. Denn wer sollte uns bei dem nun
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