Toedliche Brautnacht - Odo und Lupus Kommissare Karls des Grossen - Erster Roman
niemand begegnete uns feindselig. Die Verständigung war allerdings etwas schwierig, weil uns nun Sparuna und Niklot fehlten. Unser Gefangener weigerte sich hartnäckig, den Mund aufzutun. Nur einmal, als wir ihn fragten, ob wir das Schiff mit dem Leichnam herrenlos dem Wind überlassen oder zur Burg zurückschicken sollten, erklärte er kurz, es komme nur das Letztere in Frage, und die Strafe der Götter, die uns treffen werde, könne dadurch ein wenig gemildert werden.
Dankbar für die Aussicht auf Strafmilderung stellten wir einen Trupp Freiwilliger aus dem Fischerdorf zusammen, der sich am nächsten Morgen an Bord begab. Die Männer schienen weder den Toten noch seinen Sohn zu erkennen, vielleicht gehörten sie sogar einem anderen Stamm an. Wir konnten aber sicher sein, dass sie denselben Kulten anhingen. So würden sie Knes Ratibor mit der nötigen Ehrfurcht behandeln und ihn (vermutlich) nicht bestehlen. Was uns betraf, so behielten wir die der Kiste entnommenen Waffen mit der Absicht, sie später zurückzuschicken. Und auch dem Bottich mit den geköpften Hühnern konnten wir nicht widerstehen. Sie wurden dem Toten entzogen und mussten den Hunger der Lebenden stillen.
Die Fischer boten uns zur Übernachtung sogar ihre Hütten an, doch wir zogen es vor, ihnen Felle und Decken abzukaufen und am Seeufer im Freien zu bleiben. Die ganze Nacht über brannte unser Feuer, und die Hälfte unseres Trupps hielt abwechselnd Wache. Es bestand immerhin die Möglichkeit, dass unsere erbitterten Verfolger nicht aufgegeben hatten, dass sie zu Schiff oder auf dem Landweg herbeieilen und uns im Schlaf überfallen würden. Bis etwa Mitternacht übernahm ich den Unterhalt des Feuers und hockte über meiner Näharbeit. Ich hatte mir nämlich Leinentücher, eine eiserne Schere und eine Nähnadel aus feinem Schweineknochen erhandelt, und die Fischerfrauen halfen mir sogar beim Zusammennähen der Stücke. Den Zuschnitt besorgte ich selbst, und sie wollten sich, als ich die erste Anprobe machte, geradezu totlachen über das seltsame Männergewand. So erfüllte ich mein Gelübde und ging wieder in der Kutte. Zuletzt setzte ich sogar noch eine Kapuze an.
Fast schlaflos verbrachte auch Swinde die Nacht. Sie ließ kaum ein Auge von ihrem Gefangenen, den sie an einen Baum gebunden hatte. Anfangs setzte sie sich in der Nähe ins Gras, doch immer wieder sprang sie auf, umkreiste den Baum wie ein Raubtier und zeigte Slawomir ihre Krallen, wobei sie ihm unermüdlich dieselben Vorwürfe machte und allerlei unbestimmte Drohungen ausstieß. Zum Hühnerschmaus kam sie zu uns ans Feuer, verschlang heißhungrig anderthalb Huhn und stand dann auf, um ihm die übriggebliebene Hälfte zu bringen. Als er ablehnte, aß sie auch diese. Wäre sie nun – nach seinem Willen – eine verkohlte Leiche auf dem Grunde des Sees, bemerkte sie dazu mit bitterem Spott, würde es ihr wohl nicht so gut schmecken. Slawomir schwieg zu allem und blickte nur starr vor sich hin. Später bettete sie sich in seiner Nähe, schlief aber kaum und vergewisserte sich alle Augenblicke, dass er noch da war.
Nachdem wir gegessen hatten, gingen Odo und ich beiseite, um zu beraten. Mein Amtsgefährte war anfangs dafür, den Gefangenen gleich am nächsten Morgen mit dem Totenschiff zurückzuschicken. Er fand, dass unsere Lage durch ihn nur schwieriger wurde und dass es nicht unserem Auftrag entsprach, einen Fürsten der Obodriten gefangen zu nehmen. Er hatte recht, aber ich glaube, er wollte Slawomir aus einem anderen Grunde schnell wieder loswerden. Er ertrug einfach nicht, dass ein weibliches Wesen – noch dazu ein so reizvolles wie Swinde – in seiner Gegenwart die blauen Augen nur immerfort auf einen anderen richtete. Er verstand nicht, dass seine hochherzige Befreiungstat – und der Ruhm dafür gebührt tatsächlich nur ihm – nicht durch Dankbarkeit, Bewunderung oder gar mehr gewürdigt wurde. Er nannte Swinde nur noch verächtlich „Warattos Tochter“, die „wehrhafte Jungfrau“, das „wütige Biest“ oder die „mordende Braut“ und warf ihr scheele Blicke zu.
Ich widersprach seiner Meinung und legte dar, dass uns die Gefangennahme des Slawomir einen Vorteil brächte: Wir könnten ihn gegen die vier vornehmen Franken und Sachsen austauschen. Danach würden wir erneut in Freundschafts- und Bündnisverhandlungen eintreten. Ich glaubte, sicher zu sein, dass uns der junge Knes trotz allem nicht gram war. Das bewies für mich schon seine Untätigkeit auf dem Schiff.
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