Tödliche Ernte
kicherte, und ihre Haut legte sich in eine Million Fältchen. »Wirklich?«
Ich drehte einen anderen Stuhl um, sodass wir Knie an Knie saßen, und nahm ihre Hand in meine. Sie war kalt und zitterte wie ein gefangener Vogel. »Geht’s Ihnen wirklich gut?«
»Mir scheint, ich bin in einer besseren Verfassung als Sie, Tally. Sie haben da einen ganz schönen Kratzer auf der Wange.«
Ich spürte das Weiche, Geschwollene unter meinen Fingern, was mir einen weiteren von Jakes beißenden Kommentaren einbringen würde. »Ich rufe bei der Polizei an.« Ich holte mein Handy hervor.
»Wozu. Die machen doch nichts, und ich muss eine Menge Formulare ausfüllen.«
Natürlich hatte sie recht. Auf kleine Einbruchdelikte wurde nicht viel Zeit verschwendet. »Haben Sie eine Freundin, die bei Ihnen bleiben kann?«
Sie schüttelte den Kopf. »Meine Freunde – die hätten viel zu viel Angst. Mir geht es gut.«
»Was ist denn überhaupt passiert?«
»Ich wollte mich gerade um meine Wäsche kümmern, als ich ein Klopfen an der Tür hörte. Ich hastete in die Küche, so schnell diese alten Beine mich tragen wollten. ›Mrs Cheadle?‹, fragte jemand durch die Tür, und ich habe nicht auf seine Stimme geachtet. Kein bisschen.«
»Sie haben sie nicht erkannt?«
»Habe ich nicht. Dabei hörte sie sich zu einschmeichelnd an. Als wolle er mich zu etwas überreden. Oder mir Angst machen. Auch meine Kätzchen haben miaut. Ich habe versucht, den Notruf anzurufen. Aber die Leitung war tot. Also habe ich mir das große Küchenmesser gegriffen und mich auf den Weg zur Waschküche gemacht.
Eine Katze sprang auf ihren Schoß, und sie begann, das Tier zu streicheln. Ihr Blick wanderte zu den zerbrochenen Erinnerungsstücken, den gerahmten Postern, die zerknüllt auf dem Boden lagen, dem Fernseher mit dem klaffenden Loch. Sie senkte das Kinn, sodass ich ihr Gesicht nicht mehr sehen konnte. Ich konnte den Fernseher ersetzen. Wer aber konnte die zerbrochenen Erinnerungen ersetzen? »Kann ich Ihnen etwas bringen?«
Sie hob den Kopf, und ihre Augen glitzerten vor Wut. »Nur den Kopf von diesem Kerl, auf einem Tablett. Um mit meiner Erzählung fortzufahren: Er fing an, gegen die Tür zu hämmern, und ich habe mich gefragt, Ja, was gibt’s denn bei so einer alten Frau wie mir zu stehlen?, während ich überall die Rollos herunterließ. Inzwischen war ich wieder am Wäscheschrank. Ich bin hineingeschlüpft und habe die Sicherungen herausgedreht. Ungefähr da hat er die Tür aufgebrochen.«
»Sie klingen so vorbereitet.« – »Oh, das war ich. Ist vorher schon passiert, zwei Mal. Als ich noch getanzt habe und als Kind, da war … Oh ja. Ich habe gelernt, dass die Dunkelheit auch ein Freund sein kann. Er war wütend, dieser Mann, hat alles zerdeppert. Ich weiß Bescheid über wütende Männer. Ich habe gezittert vor Angst. Und dann ein Aufprall und ein lauter Schrei.«
»Das mit dem Schrei war ich.«
»Wie es aussieht, haben Sie diese alten Knochen gerettet.« Sie gluckste, dann füllten sich ihre vom Alter grauen Augen mit Tränen. »Worum ging es dabei nur, frage ich mich? Hier ist doch kaum was, außer mir und meinen Kätzchen.«
Ich dachte nur: Roland Blessing. »Haben Sie jemals einen komischen Typen im Bestattungsunternehmen gesehen, vielleicht zusammen mit Chesa?«
»Chesa habe ich da nie gesehen. Nicht einmal.«
»Könnten Sie vielleicht bei McArdle etwas Verdächtiges aufgeschnappt haben?«
»Nein. Ach, Sie meinen über Della. Herrje, Tally, ich traue mich fast nicht, Ihnen das zu sagen, aber Dellas Leichnam ist verschwunden.«
Soviel zum Thema Geheimnisse vor Mrs Cheadle bewahren. »Ja. Ein junger Mann hat Mr McArdle in der Nacht von Chesas Tod dabei geholfen, ihn in den Leichenwagen zu legen. Tja, und seither können wir ihn nicht mehr finden. Vielleicht hat der Einbruch hier bei Ihnen mit Della und Roland Blessing zu tun.«
»Mit diesem Mann, der Chesa umgebracht hat? Der kannte Della aber nicht.«
»Meiner Meinung nach vielleicht doch.« Ich erzählte ihr davon, was Mary gesehen hatte.
»Ich bedaure, dass ich sie Mr McArdle vorgestellt habe. Hätte ich das nicht getan, wäre Chesa nicht …«
»Sie haben die beiden einander vorgestellt?«
»Della wollte mich hier zum Mittagessen abholen. Am selben Tag war Mr McArdle so freundlich, mich von der Arbeit nach Hause zu fahren.«
»Könnte Mr McArdles Sekretärin etwas wissen?«
»Wohl kaum, da er ja gar keine hatte. Zumindest habe ich nie eine gesehen.«
Nichts passte
Weitere Kostenlose Bücher