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Tödliche Ernte

Tödliche Ernte

Titel: Tödliche Ernte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vicky Stiefel
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wieder und fing an, an der geplatzten Resopalplatte des Tisches zu pulen.
    Ein Räuspern. Jaeger. Er winkte mir mit dem Finger.
    »Ich habe ein paar Anrufe getätigt. Sie haben Glück. Eine Freundin von mir, Tish Snyder, verbürgt sich für Sie. Kommen Sie mit.«
    Jaeger saß auf der Kante seines Schreibtisches, während ich Blessings Krankenakte las.
    Wir hatten Landgang. Das Boot … das Schiff … oh Mann, ob ich das je hinkriege? Das Schiff lag im Hafen wie eine dicke alte Frau. Natürlich war es gar nicht fett oder alt, nur groß. Das größte, auf dem ich je gefahren bin.
    Also fünf von uns, ja, wir sind in die Stadt gefahren, aber dann … Wir hatten alle weiche Knie, verstehen Sie, waren an die See gewöhnt. Also sind wir ausgestiegen und … Na ja, wir sind ’ne Weile rumgelaufen. Man hatte uns gewarnt. Ja, doch. Aber wissen Sie, bei nur fünf Jungs. Warum sollten wir uns da Sorgen machen?
    Also, wie gesagt, am Anfang waren unsere Beine wie Gummi, zumindest meine. Nach einer halben Meile wurde es dann allmählich besser. Die Insekten waren schlimm – es war ja Dämmerung. An so große Stechviecher waren wir nicht gewöhnt, weil wir immer auf dem Meer waren. Dann hat Jimmy was gehört, und wir sind stehen geblieben und ganz leise gewesen. Aber keiner hat was gehört. Also sind wir weiter, weil wir alle scharf waren auf die Stadt und den Alk und die Weiber …
    Der Erste, der hat Jimmy fast den Kopf abgehackt. Erst der Schrei und dann, und dann … Ich hör noch das schlong, schlong, schlong, das seine schwarze Hose macht, weil der Vietcong so schnell läuft. Ich sehe, wie dieser Kerl die Hand mit dem Messer hochreißt, und will nach meiner Knarre greifen, aber … ich weiß auch nicht … ich weiß auch nicht, warum ich einfach zugesehen habe, wie er Reaper die Nase abschneidet, und wie er dann …
    Ich will nicht mehr weitermachen. Können wir …?
    Nein, hm. Na gut.
    Also, ich war da, hab zugesehen, ständig meinen Speichel geschluckt und mir die Lippen geleckt und … Irgendwann hab ich die Pistole dann doch gezogen, wissen Sie, und sie lag auch schwer in meiner Hand, aber … Marty. So ein klasse Typ. Mein bester Kumpel, schon von Kind an. Wir waren zusammen in der Schule und …
    Ich weiß auch nicht, warum ich mich nicht bewegen konnte, ich konnte es eben nicht. Ich konnte nur sein verdammtes Aftershave riechen und zusehen, als ob da ein Film vor mir abläuft, und Marty ruft die ganze Zeit, ich soll ihm helfen, helfen, helfen.
    Und dann das Blut, Mann, und ich war auch voller Blut. Es war warm und klebrig und hat süßlich geschmeckt auf der Zunge.
    Dann hab ich mich auf die Straße gehockt – sie würden uns kriegen, das wusste ich, dass sie uns alle kriegen würden, ganz egal, was wir auch machten. Ich hab den Einstich von diesem Messer erwartet, wissen Sie, hab mich gefragt, wo es wohl hintrifft, und wie sich das dann anfühlt. Ich hab Lärm und Schreie und Gesang gehört. Abgefahrenes Zeug. ›In A Gadda Da Vida‹. Genau. Das war’s. Und ich musste da hocken und warten, bis ich drankomme.
    Im Veteranen-Krankenhaus bin ich dann wieder aufgewacht. Das ist alles, woran ich mich erinnern kann.
    »Keine erfreuliche Lektüre.« Vorsichtig schloss ich die Akte. Alles andere als erfreulich. »Also war er nicht bei den Navy-Seals.«
    Jaeger schüttelte den Kopf. »Hat wohl einen Großteil der Ausbildung absolviert, aber dann hat er’s nicht gebracht. Seine Geschichte entspricht der Wahrheit. Man muss wohl nicht hinzufügen, dass Blessing innerhalb kürzester Zeit aus der Navy draußen war. Er hat sechs Monate in einem Veteranen-Krankenhaus verbracht. Die Diagnose lautete auf posttraumatischen Stress. Zu den Symptomen gehörte, dass er fortan total unfähig war, in egal was für einer Krisensituation zu handeln. Er erstarrte jedes Mal, und das ging irgendwann so weit, dass er kaum noch die Straße überqueren konnte.«
    »Manche Menschen sind einfach nicht zum Soldaten geboren«, sagte ich.
    »So ist es. Eine ganze Reihe von Geräuschen, Gerüchen und Erlebnissen konnte diese Erstarrungszustände auslösen. Allein eine Ampel, die von Gelb auf Rot umsprang, oder ein hupendes Auto konnte die Symptome heraufbeschwören.
    Rempelte ihn jemand in einem Geschäft an, nahm er den Geruch von Muskatnuss oder dem besagten Aftershave wahr, schrie ihm ein Freund oder Feind etwas zu – alles Faktoren, die ihn zurückversetzten in das Zusammentreffen mit den Vietcong. Einmal hat er sich an einer Ampel so sehr

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