Tödliche Ernte
hineingesteigert, dass sein Wagen abgeschleppt werden musste – mit ihm darin.«
»Wie ich hier sehe, hat er versucht, sich umzubringen, mit Kohlenmonoxid.«
Jaeger nickte. »Zweimal. Zwei halbherzige Selbstmordversuche. Nicht ernst gemeint. Mit der Zeit erholte er sich mental so weit, dass er in der realen Welt zurechtzukommen schien.«
Ich las zwischen den Zeilen – wie Blessing sich an Pisarro gehängt hatte, wie er von Männern der Tat angezogen wurde, sodass er mit ihnen wenigstens sprechen konnte, wenn es schon nicht zu Taten kam.
»Dann wurde seine Tochter ermordet«, sagte Jaeger langsam.
»Moira.« Ich beugte mich vor. »Aber ja. Als Moira umkam, traten die Symptome wieder auf. Und wenn er jetzt wütend wird, was oft vorkommt, und auf diese Wut reagieren will, erstarrt er. Punkt. Dazu braucht er nicht mal mehr die Auslöser. Nur die Erinnerung daran.« Ich sah Jaeger scharf an. »Sie glauben, er sei unfähig zu körperlicher Gewalt. Ist das richtig, Doktor?«
»Ja.«
»Ich habe jeden Tag mit Patienten zu tun, die an einem posttraumatischen Stresssyndrom leiden. Wenn das stimmt, was ich da über Blessing lese, dann muss ich Ihnen zustimmen.«
»Einfach gesagt würde allein die Krankheit Blessing davon abhalten, jemanden zu töten.«
Ich war nicht sicher, ob ich dem zustimmte. Ich dankte Dr. Jaeger, der kopfschüttelnd dasaß.
»Was werden Sie jetzt unternehmen?«, fragte er.
»Unseren Arbeitsansatz hinsichtlich Blessing überdenken. Und mit der Polizei sprechen.«
»Alles Gute.«
Die Verbitterung in seiner Stimme sprach Bände.
Zu Hause las ich Blessings mgap -Akte noch einmal durch. Dort stand es schwarz auf weiß: Vor einem Monat – bei Blessings erster Sitzung – hatte er sich heftig über Arlo geärgert. Hatte angefangen, über Arlos Aftershave zu schimpfen. Bestimmt trug Arlo das Aftershave seines Freundes.
Blessing hatte gewettert, dass Arlo angeblich stank, dann hatte er die Hände zu Fäusten geballt. Er hatte einen Arm angewinkelt, bereit, Arlo zu schlagen, der nur zu bereit war, zurückzuschlagen. Aber Blessing war erstarrt. Sein Blick war ins Leere gegangen, und er hatte einfach aufgehört. Die Erinnerung. Genau genommen war es die Erinnerung an ein Erlebnis, das dieses posttraumatische Stresssyndrom ausgelöst hatte. Ich erlebte das bei meinen Kunden sehr häufig.
Blessing erinnerte sich nicht nur an das Massaker, sondern er durchlebte es immer und immer wieder. Und wieder und wieder war er nicht in der Lage, seine Freunde zu beschützen. Wie traurig, dass dasselbe auch für seine Tochter galt.
Ich fragte mich, ob Moiras Mörder von Blessings Handicap wusste.
Das alles stand mir klar vor Augen, und ich schlief mit dem Gedanken an Roland Blessings Schmerz ein, den Quilt meiner Großmutter bis zum Hals hochgezogen.
14
Der Wecker klingelte. Verflucht. So früh. Viel zu früh.
Ich tastete nach meinem Baby-Ben-Wecker. Wo war er bloß? Ich richtete mich auf. Ah, alles klar. Ich war auf dem Sofa im Wohnzimmer eingeschlafen. Die Uhr zeigte vier Uhr morgens.
»Das Telefon. Mist!«
Ich fand mein Handy, kurz bevor die Mailbox ansprang.
»Bin ja da. Bin ja da?«
»Tally Whyte?«
»Wer ist denn da? Was ist denn?«
»Kranak meinte, Sie hätten ’ne Menge Fragen gestellt. Lieutenant Capistran. Massachusetts State Police. Wir haben hier einen Zwischenfall.«
Ich klemmte das Telefon hinters Ohr, während ich mir etwas anzog. »Was für einen Zwischenfall?«
»Wie es aussieht, hat ein gewisser Roland Blessing eine gewisse Dottie Brylske als Geisel genommen. Und er hat nach Ihnen verlangt.«
Penny folgte mir in den Van der Polizei. Kranak saß hinter dem Lenkrad und kaute an einem Bagel.
»Wo ist Blessing?«, fragte ich.
»Er hat sie nach Newburyport gebracht, warum auch immer.«
Er reichte mir einen Plastikbecher mit Kaffee.
»Danke. Brylske war die Vermieterin seiner Tochter, stimmt’s?«
»Genau. Als Blessing anfing, deinen Namen zu brüllen, hat Capistran mich angerufen, um mich ins Bild zu setzen. Ich hab ihm gesagt, ich hole dich ab, weil du so eine miese Fahrerin bist.«
»Oh Mann, danke, Rob.«
Draußen war es dunkel und bitterkalt, als wir nach Norden fuhren, Richtung Newburyport. »Ich habe ernsthafte Zweifel daran, dass Blessing der Killer sein soll, Rob.«
»Verstehe. Darum hat er auch die Lady entführt – weil er ein Pussigrabscher ist. Übrigens, der Dollar, den du in meinem Büro gelassen hast, hat einen deutlichen Fingerabdruck. Blessings Abdruck.«
Also
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