Tödliche Ernte
halten!« Er zwickte mich in die Brustwarze und zwirbelte sie fest.
Ich biss mir auf die Wange, um nicht laut aufzuschreien.
»Ich habe mein Notizbuch vergessen«, kam eine Stimme von der Tür.
Mein Kopf fuhr herum und stieß gegen den Pistolenlauf.
Da stand Kranak, groß und entspannt, als wäre es etwas ganz Alltägliches, einen durchgeknallten Killer dabei zu ertappen, wie er einer Freundin eine Knarre ins Gesicht hält.
Hinter ihm drängten sich Gert, Donna, Mary und Strabo. Ihre Gesichter blickten entsetzt.
»Was zum Teu…« Blessing riss die Augen auf.
»Wie läuft’s denn?«, sagte Kranak, als er das Zimmer betrat.
Blessing hob die Pistole von meiner Wange zu seinem Mund.
»Nein!«, schrie ich.
Der Knall ließ mich erstarren, und dann regnete es warmes Blut und Hirn auf meinen Kopf, meine Schultern und mein Gesicht.
Kranak wischte mir das Gesicht mit einem dieser rauen Papierhandtücher ab. Er hatte sich bereits davon überzeugt, dass ich unversehrt war, und dann über Handy Verstärkung und einen Leichenwagen angefordert.
Außer uns war niemand da, was ich als Vorteil ansah.
Ich war nicht gerade in guter Verfassung. Ich saß zitternd hinter dem Pult und starrte auf das rote Blut und den grauen Glibber überall auf meinen Händen, der Jeans und dem weißen Rollkragenpullover. Ein labberiger Augapfel mit einer blauen Iris lag auf meinem Ringfinger. Er starrte mich an.
»Sieh mal, Rob, Blessings Auge.«
Kranak runzelte die Stirn, zog dann ein frisches Papiertuch aus dem Spender und wischte mir damit über die Hände. Beim Anblick der klebrigen Schmiere hob sich mir der Magen.
»Musst du wohin?« Er wollte mir aufhelfen.
»Nein. Nein. Schon vorbei. Glaube ich.« Ich zog ein feuchtes Tuch aus meiner Handtasche.
Kranak nahm mir das Tuch aus der zitternden Hand und wischte mich weiter fürsorglich sauber. »Worum ging’s eigentlich?«
»Blessing war am Ende. Er sprach von jemandem namens Shel. In einem Brief an Mrs Cheadle hat Della Charles ebenfalls einen Shel erwähnt.«
»Ja, und?«, fragte Kranak.
»Ich glaube nicht, dass Blessing jemanden umgebracht hat. Du hättest ihn nicht so unter Druck setzen sollen.«
»Unter Druck setzen? Was soll das denn heißen? Ich bin reingekommen, und der Kerl hat sich das Hirn weggepustet.«
»Du hast ihm eine Heidenangst gemacht.«
»Himmel, Tal, das muss wohl der Schock sein.« Kranak kauerte sich vor mich hin und berührte meine Wange mit den Fingerspitzen. »Komm schon. Du hast dich da in etwas reingesteigert wegen diesem Typ.«
»Ich hatte solche Angst. Warum bist du eigentlich zurückgekommen?«
»Ich habe mein Notizbuch vergessen.«
Auf einem der Plätze lag ein Notizbuch mit Snoopy drauf.
Ich legte den Kopf an seine Schulter und lachte.
21
Ich schleppte mich die Stufen zum Haus hoch, eine nach der anderen.
Es war Mitternacht, obwohl es mir vorkam wie vier Uhr morgens, und das nach zu vielen Bourbons. Dabei hatten Kranak und ich gerade zwei Stunden damit zugebracht, der Polizei auf dem Revier in allen Einzelheiten von Roland Blessings Besuch in meinem Seminarraum zu berichten.
Blessings schrecklicher Tod ließ so viele Fragen offen.
Ich streifte meine Kleidung ab und stopfte sie in einen Müllsack, dann schnappte ich mir eine Flasche Cabernet und ein Glas. Penny schlüpfte mit ins Bad, als ich die Tür schloss. Ich drehte das Wasser auf, schüttete einige Badekristalle hinein und gab meiner voll erblühten Paranoia nach, indem ich die Tür abschloss.
Mit dem Weinglas in der Hand ließ ich mich in der Wanne mit den Löwentatzen nieder. Herrje. Blessing hätte mich heute Abend umbringen können. Stattdessen hatte ich zusehen müssen, wie sein Hirn à la Jackson Pollock über mich spritzte.
Ich fürchtete mich davor, die Augen zu schließen, doch der Dampf, die Hitze und das entspannende Wasser ließen meine Lider schwer werden. Ich kämpfte dagegen an, weil ich wusste, dass ich dann Blessing vor mir sehen würde, aber meine Lider schlossen sich und …
Daddy. Sein heiß geliebtes Schiffsmodell, die Meerschaumpfeife, unser Wohnzimmer voller Möbel vom Sperrmüll. Wir treten auf die Veranda. Wir wollen eigentlich ins Kino gehen, aber wir streiten uns über Winsworth und einen Besuch dort, und er will nicht. Er will nicht hinfahren.
Warum können wir nicht zurück nach Winsworth, Daddy? Warum nicht? Was versteckst du vor mir?
Und ich bin so wütend, dass ich nicht mit ins Kino will. Nein, ich will nicht. Ich renne zurück ins Haus, aber
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