Tödliche Ernte
Dad öffnet die Tür. Er sagt, dass er dann eben arbeitet, und er grinst und winkt mir unbeschwert zu.
»Schönen Tag, Töchterchen!«
Und ich weiß, dass er nur so tut, dass wir trotzdem ins Kino gehen, aber …
Ein lauter Schrei! Ich stürze nach draußen. Daddy liegt auf den Stufen, schaumiges Blut kommt aus seinem Mund und seiner Nase. Seine Hand tastet nach etwas. Nach mir. Sie tastet.
Daddy! Daddy! Daddy!
Es klopfte an der Tür.
Ich kreischte und verschüttete dabei etwas von dem Cabernet. Spritzer landen auf den Schaumblasen – Blessings Blut. Ich hätte den Chablis nehmen sollen.
»Alles in Ordnung, Tally?«
Ich atmete schluchzend ein. »Alles klar, Jake. Danke. Und jetzt geh.«
»Ich warte.«
»Musst du nicht.« Ich wischte mir eine Locke aus dem Gesicht und spürte etwas Weiches, Glibberiges – ein Klümpchen von Roland Blessings Hirn.
Mein Magen krampfte sich zusammen.
»Tally?«
»Jetzt geh doch endlich, verdammt! Geh endlich!«
Ich zog den Vorhang um mich zu und drehte die Dusche auf. Ich stützte das Kinn auf die Knie, während das Wasser auf mich niederprasselte.
Donnerstagmorgen rief ich Jake an, um mich zu entschuldigen. Aber nur der Anrufbeantworter schaltete sich ein. Mein Telefon klingelte am laufenden Band, kein Wunder, wenn man die Berichte im Globe und im Herald bedachte, die den Tod Roland Blessings bejubelten und meinen unglücklichen Part bei dem Ganzen erwähnten. Ich stellte den Klingelton ab.
Das Entsetzen blieb. Ich hörte noch immer Blessings Stimme. Dann drehte ich mich hastig um, weil ich »etwas« hinter mir spürte, und sah sein Gesicht statt meinem im Spiegel. Ich duschte vier Mal. Schrubbte mich wund. Und war besessen von Blessings Worten und seiner offensichtlichen Verzweiflung.
Ich dachte über Shel nach und fand alles nur noch gruseliger. Wer war er?
Die Reporter vor dem Haus halfen auch nicht gerade, und ich kontrollierte die Schlösser ein Dutzend Mal.
Meine Gefühle waren typisch für ein traumatisiertes Opfer. Das zu wissen, machte es jedoch nicht besser. Ich konnte die Angst schmecken. Genau wie vor zwanzig Jahren, nach dem Tod meines Vaters. Und dann die Paranoia. Und der Schmerz.
Und dennoch fühlte ich mich jetzt lebendiger als nach der Beurlaubung vom mgap . Ich wurde wach, alles kribbelte, wie wenn einem der Arm eingeschlafen ist.
Kaum hatte ich aufgelegt, nachdem ich zum vierten Mal versucht hatte, Jake zu erreichen, strömte eine Gruppe von Kriminaltechnikern in meine Wohnung. Die Hälfte von ihnen bewegte sich außerhalb ihres Zuständigkeitsbereichs. Kranaks Werk. Sie suchten alles nach Fingerabdrücken ab, nahmen Gewebeproben, verspritzten Chemikalien und wedelten mit Lumalights. Billy war auch dabei; er flüsterte mir zu, dass er an den Bienen und der Phiole bisher nichts entdeckt hatte.
Als sie aufbrachen, meinte Kranak, wir sollten abends einen trinken gehen. Ich sagte ihm, dass ich auf keinen Fall an einen öffentlichen Ort gehen würde. Wir einigten uns auf sein Boot.
Gegen drei klingelte es. Ich lugte durch den Türspion. Da ich mit irgendwelchen Medien rechnete, war ich überrascht, einen Botenjungen mit einer sehr großen rechteckigen Schachtel zu sehen. Blumen.
Bienen gefällig?
Ich stellte die Schachtel auf dem Tisch ab und drückte mein Ohr gegen den Deckel. Grabesstille. Ein Witzbold, hm? Es gab verschiedene Möglichkeiten. Ich könnte die Schachtel einfach rauswerfen, Sprengstoffexperten kommen lassen oder auf Jake warten, der vermutlich nicht mit mir reden würde. Sogar Mr Puzas hätte ich anrufen können. Allerdings war ich nicht allergisch gegen Bienen.
Paranoia zum Mittagessen war nicht so lecker.
Ich schob den weißen Deckel zur Seite.
Rosenduft durchströmte das Zimmer. Ach du meine Güte. Dutzende langstieliger roter und gelber Rosen.
Auf dem grünen Seidenpapier lag eine Karte. »Passen Sie auf sich auf, meine Liebe. Ich denke an Sie, immer. Harry Pisarro.«
Vor Erleichterung wäre ich fast ohnmächtig geworden.
Wie kam es dann, dass es mir trotzdem eiskalt den Rücken hinunterlief?
An diesem Abend ging ich an Kranaks Seite über den Kai, und Penny hüpfte vor mir her. Das Brummen vorbeifahrender Boote, das Wasser, das gegen die Kaimauer schlug, die frische Meeresluft, selbst der Anblick des Segelschiffes Old Ironsides, nichts konnte meine düstere Stimmung heben.
Kranak sprang auf sein Boot und reichte mir seine Hand. Ich fühlte mich zittrig, und meine Beine waren wie Gummi, als ich auf das Deck aus
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