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Tödliche Ernte

Tödliche Ernte

Titel: Tödliche Ernte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vicky Stiefel
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Jazz ein Tauziehen um den Bogen veranstalteten. Inez schüttelte wie wild den Kopf. Schließlich nahm Jazz sie in die Arme und wiegte sie. Sie krallte ihre Nägel in sein Gesicht.
    Er hob sie hoch, und ihr Mund öffnete sich zu einem stummen Schrei, der viel aufwühlender war als ein echter. Er trug sie nach oben, während sie seinen Kopf und seine Schultern mit den Fäusten bearbeitete. Sie waren von dem Blut verschmiert, das ihm übers Gesicht lief.
    Zwanzig Minuten vergingen. Penny lag auf meinen Füßen. Inez’ Ausbruch hatte sie sichtbar aufgeregt. Sollte ich gehen? Bleiben?
    Ich blickte durch die Vorhänge hinter dem Sofa nach draußen. Es dämmerte. Im Winter eine düstere, bedrohliche Zeit.
    Leise Fußtritte auf der Treppe. Jazz kam wieder herein, ließ aber die Tür offen. »Sie wird nicht aufwachen, aber ich möchte sichergehen.« Blut sickerte durch die Mullbinde auf seiner Wange.
    »Das tut mir so leid«, sagte ich.
    »Kommt vor. Zu oft, um noch mitzuzählen.«
    »Würden Sie mir die Geschichte von Inez’ Unfall zu Ende erzählen?«
    »Da gibt’s nicht viel mehr zu erzählen. Mr McArdle hat sie gefunden. Kam mit ihr im Arm drei Tage später an. Sie hatte einen Autounfall gehabt. Ist gegen eine Straßenlaterne gefahren oder so was. Der Wagen hatte Totalschaden.« Er lächelte traurig. »Der kleine Kerl hat das verdammte Ding sogar noch nach Hause geschleppt. So war er manchmal – freundlich, fürsorglich.«
    Ich behielt meine Gedanken für mich.
    »Der Unfall ist bei irgendeinem Kaff passiert. Kann mich nicht mal an den Namen erinnern. Ihre Füße mussten amputiert werden. Sie waren zerquetscht worden. Sie hatte keinen Ausweis bei sich. Kein Mensch wusste, wer sie war. McArdle ist auf sie gestoßen, als er eine Leiche abholen wollte oder so was. Wenn das nicht gewesen wäre, wer weiß, wann wir sie dann gefunden hätten? Mr McArdle hat sogar die Krankenhausrechnung bezahlt.« Er seufzte langsam, als wäre es eine Anstrengung, die Luft aus seinen Lungen auszustoßen. »Seitdem ist sie nicht mehr dieselbe. Konnte nicht sprechen. Kaum denken. Sie haben ja gesehen, wie sie sein kann, rasend vor Wut. Ach, meine liebe Kleine. Meine liebe Kleine.«
    Er legte den Kopf in die Hände und schluchzte.
    Ich legte einen Arm um ihn und murmelte tröstende Worte, von denen ich sicher wusste, dass sie nicht helfen würden.
    »Wir wollten Kinder haben«, sagte er unter Tränen. »Ganz viele. Und ihre Karriere. Eine Tragödie.«
    »Sie spielt immer noch wunderschön«, sagte ich. »Auch, wenn es nur für Sie ist.«
    Sein Lachen klang verbittert und höhnisch. »Was ist das schon? Nichts. Nichts im Vergleich zu ihrem wunderbaren Tanz. Meine Inez war der neue Star des Bostoner Balletts.«
    Die Nacht war hereingebrochen, als ich zu meinem Wagen zurückkam. Ich war überzeugt, dass der Schnitter Inez’ Füße an sich genommen hatte. Meines Wissens war sie das einzige lebende Opfer. Ich versuchte es bei Reen – ohne Erfolg. Schon wieder spielte sie Katz und Maus mit mir, verdammt noch mal. Als ich durch die Stadt raste, rief ich bei Kranak an, weil ich ihm dringend erzählen musste, was ich erfahren hatte.
    Ich fuhr zu seinem Boot und rannte über den Kai. Penny hechtete mir aufgeregt hinterher. Ich sprang aufs Deck und trommelte an die Kabinentür. »Mach auf, Kranak!«
    Das Deck wackelte. Noch jemand war an Bord gegangen. Jemand, den ich nicht sehen konnte.
    Ich hatte nicht auf eventuelle Verfolger geachtet und auch nicht darüber nachgedacht, als ich durch die Stadt gerast war. »Aufgepasst«, signalisierte ich Penny, deren Körper sich sofort anspannte.
    Wieder hämmerte ich gegen die Tür. »Kranak! Kranak!«
    Das Boot schwankte fast unmerklich, als der »Jemand« auf mich zukam. Der Körper war hinter der Plane ver-borgen, unter der sich das zusammengeraffte Großsegel befand.
    Ich wich einige Stufen nach oben zurück und spannte die Beinmuskeln, um vom Boot springen zu können.
    »Memmmmooorrriees. All alone in the moonlight.«
    Nein. Das konnte nicht sein.
    »I’llllll remember, something, something.«
    Kranak? Der Cats sang? Ich warf einen Blick nach steuerbord.
    »Memmoorriees. All I’ve got are the mem-o-ries. La la, laaa, la.«
    Meine Güte. Das war wirklich Kranak. Stockbetrunken hockte er auf der Reling, den rechten Arm um ein gespanntes Tau gelegt. Sein linker Arm und der Oberkörper baumelten über dem eisigen Wasser. Wofür hielt er sich bloß – einen fliegenden Wallenda?
    Ich packte ihn am Gürtel,

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