Tödliche Feindschaft
dem Dunkel. Jehu und Ojo blickten gespannt der sich nähernden Gestalt entgegen.
Als man die Züge des Mannes erkennen konnte, hatte Ojo Mühe, einen drohenden Ausruf zu unterdrücken.
Es war Eberstein. Er mußte viel getrunken haben; denn er schwankte beträchtlich. Der Dreispitz saß schief auf seinem Kopf, der Degen schleifte auf der Erde nach.
Er erreichte das Wachlokal im gleichen Moment, als der Sergeant mit seinen Soldaten aus der Tür stürzte.
Der Sergeant sah Eberstein sofort, riß die Hacken zusammen und meldete:
»Der gefangene Deserteur ist entflohen, Herr Major.«
»Wa - Was?« lallte Eberstein.
»Der Deserteur Baum ist entflohen.«
Jetzt erst begriff Eberstein, was vorgefallen war. Er schrie den Sergeanten an. Er drohte der ganzen Wache mit scharfem Karzer. Er tobte und gröhlte, daß sich auf der anderen Straßenseite ein Fenster öffnete, in dem die weiße Zipfelmütze eines aus dem Schlaf gerissenen Bürgers zum Vorschein kam.
Plötzlich hielt der Graf im Toben inné. Sein vom Alkohol benebelter Geist begann sich zu klären. Blitzartig wurde ihm die Situation klar. Und jäh begriff er, daß die Flucht Michel Baums seine Rettung bedeuten konnte. Er war davon überzeugt, daß man ihn, sollte man ihn überhaupt verfolgen, ohnehin nicht wieder einfangen würde. So hatte sich der Kronzeuge gegen ihn von selbst um diese Zeugenschaft gebracht; denn er konnte ja nicht ahnen, daß Oberst Köcknitz die komische Idee hatte, Vortrag beim Landgrafen über ihn zu halten.
Eberstein faßte schnell zusammen: Baum war weg, war abermals desertiert, war also ein Verbrecher, der sich der Sühne durch Flucht entzogen hatte. Das war ganz klar. Auch Oberst Köcknitz würde nicht anders denken. Und Richard Baum mochte nun getrost aussagen, daß es sein eigener Vetter gewesen war, dem er den Degen gegen Eberstein geliehen hatte. Ein Offizier aber verlieh seinen Degen nicht an einen Unwürdigen, auch wenn dieser Unwürdige sein Vetter war.
Der Sergeant blickte Eberstein erstaunt an, weil dieser aufgehört hatte, zu brüllen. Eberstein merkte noch rechtzeitig, daß ihm der heitere Ausdruck nicht recht zu Gesicht stand, wenigstens in diesen Augenblick nicht. Er meinte barsch: »Melde Er das Vorkommnis weiter. Gute Nacht.« Der Sergeant nahm Haltung an, und Eberstein entfernte sich.
Jehu hatte das meiste von dem, was der Sergeant gesagt hatte, verstanden. Michel Baum war also frei. Wo mochte er stecken?
Jetzt war es Jehu, der nach Worten suchte, um das freudige Ereignis Ojo mitzuteilen. Aber soviel Französisch verstand Ojo nun wieder nicht. Außerdem waren seine Gedanken einzig und allein bei Eberstein. Als er sah, wie dieser sich entfernte, hörte er gar nicht mehr auf die Wortfetzen seines Begleiters, sondern pirschte sich im Schatten der anderen Straßenseite hinter ihm her. Jehu, der nicht wußte, was er sonst tun sollte, folgte ihm.
Als Ojo Eberstein erreicht hatte, machte er nicht viel Federlesens. Er packte ihn einfach beim Kragen, stopfte ihm ein bereit gehaltenes Tuch in den Mund, lud sich den zu Tode
erschrockenen Mann auf die Schulter, setzte sichin Dauerlauf und eilte mit der schweren Last dem Krug zu. Jehu keuchte hinter ihm her. Er war so erschrocken, ja entsetzt, daß er in diesem Augenblick kaum fähig war, in der eigenen Muttersprache etwas zu sagen, geschweige denn auf französisch.
Weder der Wirt noch die Magd Maria sahen, wie Ojo mit dem sonderlichen Paket die Treppe emporeilte.
Mit dem Fuß stieß der lange Spanier die Tür auf und taumelte hinein. Eberstein, der sich verzweifelt gewehrt hatte, dem eisenharten Griff Ojos jedoch nicht gewachsen war, hatte das Bewußtsein verloren. Ojo warf ihn auf sein Bett, nahm ein paar Riemen und fesselte ihn. Jehu stand neben dem Bett und stierte mit weitaufgerissenen Augen auf die ungewöhnliche Szene. Für ihn, einen Untertan des Landgrafen von Hessen-Kassel, war es wohl das
Ungewöhnlichste, was er je erlebt hatte. Er zitterte um seine neuen Freunde; denn er konnte sich nicht vorstellen, daß ein solches Verbrechen, die Entführung eines Offiziers, ungesühnt bleiben würde. Und die Strafe würde nicht gering sein. Eberstein, Spekulant, Offizier, Denunziant und Verräter in einer Person, würde schon für ein entsprechendes Urteil sorgen.
Jehu versuchte, auf Ojo einzureden. Aber auch bei diesem machten sich jetzt die zwei Krüge Wein, die er genossen hatte, bemerkbar. Er war müde und befriedigt über das, was er geleistet hatte. Er hatte eine Geisel,
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