Tödliche Feindschaft
gefunden habt? Nehmen wir doch eins, das uns nach Portugal bringt. Meine alte Mutter lebt noch in Spanien. Bei ihr wären fürs erste unsere Steine auch sicher.« »Hm«, brummte Michel. Sonst sagte er nichts.
»Ich verstehe überhaupt nicht recht, Señor Doktor, weshalb Ihr unbedingt in Euer Heimatland zurückwollt. All die Jahre hindurch spracht Ihr stets von Amerika. Habt Ihr Eure Pläne gänzlich geändert?«
»Durchaus nicht. Meine Sehnsucht gilt nach wie vor diesem Land der Freiheit.« »Na, warum dann nicht gleich von hier aus dorthin?«
»Eigentlich hast du recht«, sagte Michel, »es wäre vielleicht das beste.« »Finde ich auch; denn was wollt Ihr in Deutschland?«
»Tja«, lächelte Michel, »das —, das weiß ich auch noch nicht so recht. Es ist eigentlich nur ein Gefühl, das mich treibt. Aber was wissen wir schon von unseren Gefühlen?«
Sie kamen an einer spanischen Kneipe vorbei. Ojo warf sehnsüchtige Blicke auf den Tonkrug, der über der Tür hing.
»Hättet Ihr etwas dagegen, Señor Doktor, wenn ich noch einen Becher Wein trinken würde?« »Keineswegs, amigo. Ich trinke sogar mit, wenn es dir recht ist.«
Sie traten über die Schwelle. Dichter Tabaksqualm schlug ihnen entgegen. Ojo hielt Umschau
nach einem Tisch. Er entdeckte einen, an dem nur ein einzelner Mann saß. Sie steuerten auf
diesen zu.
»Dürfen wir uns zu Euch setzen, Señor?« fragte Michel.
Der einsame Gast, der bisher in seinen Weinkrug gestarrt hatte, hob mit einem Ruck die Augen. Groß und dunkel waren sie auf Michel gerichtet. Um seine Lippen, die oberhalb des Mundes von einem schmalen Bärtchen geziert waren, zuckte ein verhaltenes Lächeln. Plötzlich sprang er auf und hieb mit der Faust auf den Tisch, daß die Weinbecher tanzten.
»Diable«, rief er französisch, »ich will die Masten meines Schiffes zerhacken, wenn Ihr nicht Monsieur Baum seid.«
Michel und Ojo waren sprachlos. Dann reichte der Pfeifer die Hand hinüber. Der Franzose schüttelte sie kräftig.
»Ich freue mich wirklich, Monsieur, Euch einmal wiederzutreffen. Hätte es nie für möglich
gehalten. Nehmt Platz, nehmt Platz, seid willkommen.«
»Klein ist die Welt, Monsieur Mounsier.«
Ja, es war der große Pirat Dieuxdonné 1 .
Nach dem üblichen Woher und Wohin fragte Michel:
»Macht Ihr noch immer Jagd auf van Groot?«
Dieuxdonné lächelte:
»Nicht mehr nötig, Monsieur, van Groot ist pleite. Kein Hund nimmt mehr ein Stück Brot von
ihm.«
»Dann hat das Seeräuberleben also ein Ende?«
Dieuxdonné, der mit seinem richtigen Namen René de Mounsier hieß, machte ein geheimnisvolles Gesicht.
»Wie man es nimmt, Monsieur«, flüsterte er. »Heute fahre ich mit einem Kaperbrief. Das heißt,
ich muß mich mehr vorsehen, daß ich nicht selbst gekapert werde.«
»Wahrhaftig, sehr geheimnisvoll«, sagte Michel.
René nickte.
»Ja, ich fahre für den Präsidenten Washington. Bin Blockadebrecher für die Vereinigten Staaten
geworden. Mein Bruder auch. Bin froh, daß ich wenigstens noch zu etwas nutze bin.«
»Und Euer Schiff liegt hier im Hafen?«
»Oui, bin heute nachmittag eingelaufen.«
»Euch hat das Schicksal uns in den Weg geführt«, sagte Michel. »Ich mache sonst nicht so große Worte. Aber, glaubt mir, wir suchen schon seit Tagen nach einem Schiff, das uns mitnehmen würde. Wir können aber nicht jedes Schiff nehmen, da wir einige Dinge mit uns führen, die auch die ehrlichsten Menschen zu Dieben oder gar zu Mördern machen könnten.«
René lachte. »Nun, meine Mannschaft ist noch die alte, nämlich bestehend aus meinen Vettern, Verwandten und sonstigen Kavalieren. Wenn Ihr Vertrauen zu mir habt, so würde ich mich heute gern für Eure damalige Freundlichkeit revanchieren und Euch Passage anbieten. Allerdings muß ich Euch darauf aufmerksam machen, daß ich zuerst nach Hamburg gehen muß. Es wird also einen kleinen Umweg geben.« Michel konnte es kaum fassen.
»Es ist zwar unwahrscheinlich«, sagte er, »aber diesmal bin ich fast gezwungen, alles als eine
Fügung anzusehen. Stellt Euch vor, ich hatte den Plan, einen Abstecher nach Hamburg zu
machen, um dann nach Amerika zu gehen.«
René bestellte einen neuen Krug Wein.
»Das muß begossen werden, Messieurs.«
Sie tranken noch lange zusammen. Später meinte Michel:
»Was ist eigentlich aus der Dame geworden, die Ihr damals an Bord hattet?«
»Ihr meint Ellen-Rose?«
»Ich glaube, so hieß sie.«
»Nun, sie ist meine Frau. Diesmal habe ich sie nicht mit auf Fahrt genommen. Es sah anfangs zu
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