Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tödliche Feindschaft

Tödliche Feindschaft

Titel: Tödliche Feindschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berndt Guben
Vom Netzwerk:
vor sich auf den Boden. Sie überdachte die Jahre, seit Eberstein plötzlich wieder in Kassel aufgetaucht war. Er hatte keine Gelegenheit ausgelassen, sich ihr zu nähern. Allerdings war er nie aufdringlich geworden. Und in den ersten Jahren nach seiner Rückkehr hatte er stets einen traurigen Blick in den Augen gehabt, wenn er von Michel sprach. Das hatte sich allerdings später geändert. Denn als sie es war, die, nach Jahren noch, immer wieder die Rede auf Michel Baum brachte, wurde er ungeduldig. Andererseits war das zu verstehen. Denn solange der Schatten Michel Baums zwischen ihm und dem Mädchen stand, sah es nicht so aus, als würde aus der von ihm angestrebten Verbindung jemals etwas werden. Sie hob den Kopf.
    »Ich glaube, ich werde es mir doch noch reiflich überlegen«, sagte sie langsam. In ihrer Stimme war nichts mehr von jener Leidenschaft, mit der sie noch vorher den bloßen Gedanken an eine Heirat mit Eberstein von sich gewiesen hatte.
    Wenn sie ehrlich war, mußte sie zugeben, daß es der Graf seit den Tagen seiner Rückkehr nicht ein einzigesmal an der nötigen Höflichkeit ihr gegenüber hatte fehlen lassen. Immer war er Kavalier vom Scheitel bis zur Sohle. Vater und Mutter Eck mochten ihn gern. Für sie war das ständige Sträuben gegen eine Verbindung mit ihm einfach unverständlich.
    Und nun war er vor einigen Monaten auch noch zum Major befördert worden. Major in diesem Alter, das war schon etwas. Rudolf Graf von Eberstein war knapp dreißig Jahre alt. »Auf Wiedersehen — bis morgen, Vater Baum.«
    Charlotte reichte ihm die Hand, wandte sich um und verließ den Laden.

    22

    Zur Zeit war es recht still. So früh am Nachmittag kamen keine Kunden zu Andreas Baum. Der alte Mann stopfte Tabak in die Pfeife, entzündete ihn und spazierte mit auf dem Rücken verschränkten Händen in seinem kleinen Laden auf und ab. Von Zeit zu Zeit blieb er stehen und betrachtete Scheide und Klinge eines über Kreuz an der Wand aufgehängten Degens. Liebkosend fuhren seine welken Finger über den blinkenden Stahl.
    Dieser Degen hatte seine Vergangenheit. Ein Vorfahr, den es nie in der Heimat gehalten hatte, hatte ihn selbst aus Damaskus mitgebracht. Seitdem hatte er zwei oder drei Generationen begleitet, hatte sich in manche feindliche Brust gebohrt, bis er in den Händen Andreas zur Ruhe gelangte. Für diesen hatte er eine ganze Zeitlang nichts weiter bedeutet als das überkommene Erbstück einer Familie. Bis —, ja, bis er ihn an dem Tag, den er nie vergessen würde, jenem Tag, da sein Sohn vor den Schergen des Landgrafen von Hessen-Kassel fliehen mußte, Michel auf die Reise mitgegeben hatte. Das war nun lange her. Und damals, als Michel gegangen war, hätte Vater Baum darauf schwören mögen, daß sein Sohn in den Unbilden, die eine weite Reise in die Welt mit sich bringt, Sieger bleiben würde.
    Die Jahre waren vergangen. Kein Lebenszeichen von Michel drang nach Kassel. Von vielen anderen aus Kassel, die nach Amerika gegangen waren, waren Briefe gekommen. Nie war einer von Michel dabei. Dann war Eberstein zurückgekommen. Mit dem Degen in der Hand. Mit diesem Degen, der jetzt hier an der Wand hing, und den der alte Andreas sofort wiedererkannt hatte. Ja, und dann hörte er aus dem Munde des Grafen die Geschichte von dem schrecklichen Korsarenschiff, von der Not, die sie auf dem Meer gemeinsam ausgestanden hatten, von Durst und Verderben, von Mannesfreundschaft und Schmerzen und schließlich vom Tod Michels. Wieder wurden die Augen des alten Vaters feucht. Er wandte sich dem Ladentisch zu, ging langsamen Schrittes und gebeugten Hauptes um diesen herum und beschäftigte sich mit dem Abwiegen von Tabak.
    Aus jedem der Tongefäße schlug ihm der Duft einer anderen Welt entgegen. Ob es die Schwere des süßenVirginia war, ob der geheimnisvolle Duft orientalischen Tabaks, ob die würzige Herbheit des hellgelben Mazedoniers, überall war die weite Welt. Die Düfte beschworen Bilder aus fernen Ländern und von fremden Menschen herauf, die er nie gesehen hatte. Oft war er an solchen Tagen nahe daran, sein Bündel zu schnüren, die in jahrelanger Arbeit erworbenen, blinkenden Dukaten einzupacken und hinauszufahren in jene Welt des bunten, schillernden Lebens und des jähen, unerwarteten Todes. Aber dann fühlte er, daß sein alter, verbrauchter Körper dem Flug des Geistes nicht mehr zu folgen vermochte. So blieb er daheim, mit seinem Leid um den verlorenen Sohn.
    Als sich die Sonne schon langsam nach Westen neigte,

Weitere Kostenlose Bücher