Tödliche Feindschaft
unerfindlichen Gründen bestand sie darauf.«
»Ah, bah, Seeräubergräfin. Du lebst hier in einem geordneten Staatswesen. Was will sie dir tun?«
»Das weiß ich nicht. Aber ich habe ein ungutes Gefühl. Ihr Arm ist vielleicht länger, als wir glauben.«
»Verflucht von Roßbach. Sie soll sich nur hier sehen lassen. Sie wird gehenkt, parbleu.« »Hoffentlich überlebe ich das.« Rudolf von Eberstein lachte gezwungen auf. »Daher also deine Vorliebe für Charlotte Eck.«
»Reg dich nicht auf, Papa, ich werde dieser Rachel den Hof machen.« »Aber laß dir nicht mehr zu lange Zeit damit!«
»Nun, es dürfte mir doch ein leichtes sein, sie zur Frau zu gewinnen. Ob ich vielleicht gleich
zum alten Abraham gehe und um ihre Hand anhalte?«
»Je schneller, desto besser.«
27
Bei Hirschfelders herrschte in den nächsten Tagen wieder Aufregung. Graf Eberstein hatte seinen Besuch angemeldet. Frau Judith hatte einen heißen Kopf. Aufgeregt scheuchte sie ihr Personal durcheinander. Ein Graf mußte gräflich empfangen werden.
Eberstein hatte sich in Gala geworfen. Abraham und Judith konnten ihrer Erregung kaum Herr werden, als sie ihm im Salon gegenüber saßen.
»Darf ich mich nach dem Befinden cures Fräulein Tochter erkundigen?« fragte Eberstein. Die beiden Alten warfen einander rasche, verstehende Blicke zu. »Sie macht eben einen Spaziergang«, sagte die Mutter.
In Wirklichkeit wußten sie nicht, wo sie war. Des öfteren blieb sie in der letzten Zeit
stundenlang fort, ohne ihren Aufenthaltsort bekanntzugeben. Ein solches »Herumtreiben« gehörte sich jedoch nicht für ein Mädchen der besseren Gesellschaft. Deshalb wagten die beiden Eltern nicht, diese Tatsache dem Grafen gegenüber einzugestehen.
»Ich wollte mir eure Erlaubnis holen«, begann Eberstein in charmanter Weise wieder, »mit dem
gnädigen Fräulein einmal ausreiten zu dürfen. Ich darf euch mein Wort als Offizier geben,
daß..«
Abraham unterbrach ihn:
»Aber Herr Graf, das ist doch selbstverständlich. Ich vertraue Euch vollkommen.«
Eberstein verneigte sich leicht.
»Danke.«
Um diese Stunde gingen zwei junge Menschen im Stadtwald spazieren. Jehu Rachmann sprach mit begeistert glühenden Augen von dem großen Glück, das ihm widerfahren sollte. Jeden Tag mußte das neue Hammerklavier aus Freiberg eintreffen. Er konnte die Stunde, da er seine Finger auf die Tasten legen würde, kaum erwarten.
Und Rachel, die neben ihm schritt, teilte seine Begeisterung. Glücklich sah sie zu ihm auf. Es lag so viel Reinheit im Höhenflug seiner Gedanken. Er war ein Schwärmer, ein Idealist. Ein Mensch, der gar nicht lebensfähig zu sein schien, wenn nicht emphatische Funken in ihm sprühten.Seine Reden waren klug, die Gedanken, die er ihr gegenüber preisgab, inhaltschwer. Nichts von dem was er sagte, war Geschwätz. Sein Wissen schien ihr unerschöpflich. Er sprach ihr von fremden Ländern, von fremden Kulturen und Religionen, als habe er sie alle selber kennengelernt. Er sprach von seiner Sehnsucht nach der weiten Welt. Von seinem Willen zur Überwindung der Schwierigkeiten, die ihn, den armen, unbekannten Musiker heute noch umgaben, von der Schönheit der Welt und der Größe echter Liebe.
Sie lauschte ihm fasziniert. Im jüdischen Gotteshaus hatten sie einander kennengelernt. Er war ihr aufgefallen, da er inbrünstiger betete als die anderen. Der Glaube an Gott schien tief in ihm verwurzelt. Seine hohe Stirn, seine langen Künstlerfinger, seine weichen Lippen unter der harten Nase hatten es ihr angetan. Er war nicht irgendwer, kein Alltagsmensch. Das erkannte sie mit scharfem Blick. Er gehörte nicht zu jener Sorte von jungen Männern, deren Hauptbeschäftigung es war, dem lieben Gott den langen Tag zu stehlen. Alles was er tat, hatte Sinn. Einen höheren Sinn, den manch ein anderer vielleicht für sinnlos halten würde.
»Und wie hat es Euch auf jener Gesellschaft beim Grafen Eberstein gefallen?« fragte er. »Gut. Die jungen Männer waren artig und wohlerzogen.« »Wovon spracht Ihr?«
»Ich weiß es nicht mehr. Aber es waren Nichtigkeiten.«
»Der Geist verströmt nicht auf solchen Gesellschaften. Sie sind eigentlich, wenn man es recht
überlegt, völlig überflüssig. Aber wir wären ja keine Menschen/ wenn wir nichts Überflüssiges
täten.«
»Sagt mir, Herr Rachmann, tut Ihr je Überflüssiges?«
»Vielleicht. — Wer weiß? Vielleicht tue ich vor allem zu wenig. Zu wenig von dem, meine ich,
was die anderen für den Inbegriff des Lebens
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