Tödliche Flammen: Roman (German Edition)
Gedanke an einen anderen Menschen einfach nicht loslässt und einem wider jegliche Vernunft nicht mehr aus dem Kopf will. In seinem Fall ist es krankhaft. Doch in gewisser Weise war es für uns beide eine Fantasie. Es hat sich nur unterschiedlich entwickelt.«
Reena musterte nachdenklich die Tafel. »Seine Obsession begann in seiner und meiner Kindheit. Eine Vergewaltigung hat nämlich weniger mit Sex zu tun als mit Gewalt, Macht und Kontrolle. Als er mich ausgewählt, sich auf mich eingeschossen und versucht hat, mich zu vergewaltigen, ging es ihm weniger um mich als um das, was ich in seinen Augen verkörperte. Die jüngste – und vermutlich ziemlich verwöhnte – Tochter der Familie Hale.«
Sie ging zur Tafel hinüber, wie um sie aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten. »Heilige Familie, so hat er uns genannt. Wir waren glücklich und im Viertel anerkannt und hatten viele Freunde. Seine Familie hingegen war von Gewalt bestimmt und vereinsamt, und er war Einzelkind. Es gab zwar in unserem Viertel auch andere Familien, die in ähnlichen Verhältnissen lebten wie wir, doch wir standen wegen des Sirico mehr im Mittelpunkt. Jeder kannte uns, während die Pastorellis Außenseiter waren. Außerdem war ich ihm altersmäßig am nächsten.
Der gewalttätige Umgang seines Vaters mit seiner Mutter hat ihm vermittelt, dass man Frauen ungestraft schlagen darf. Doch sein Versuch, Macht über mich auszuüben, wurde vereitelt, und zwar ausgerechnet von meinem jüngeren Bruder. Das hat ihn den Rest seines Lebens nicht mehr losgelassen, und er gibt mir die Schuld daran.«
Wieder umrundete Reena die Tafel. »Aber ich weiß immer noch nicht, warum er so lange gewartet hat und was er als Nächstes im Schilde führt. Der Mann ist ein Psychopath und kennt weder Gewissen noch Reue. Aber er ist auch feige. Wenn jemand ihn tritt, wehrt er sich nicht unmittelbar, sondern legt später ein Feuer. Jemand hat ihn getreten. Etwas hat dieses Verhalten ausgelöst und ihn dazu gebracht, hierher zurückzukehren und mir mitzuteilen, wer er ist.«
Doch Bo hörte nur noch mit halbem Ohr hin. Stattdessen stand er auf und ging auf die Tafel zu. »Ist er das? Ist das Pastorelli?«
»Junior, ja.«
»Ich bin ihm begegnet. Zwei Mal. Das erste Mal stand er so dicht neben mir wie du jetzt.«
»Wann?«, stieß sie hervor. »Wo?«
»Das erste Mal an dem Samstag, bevor ich bei deiner Familie zum Essen eingeladen war. Ich bin nach einem Kundenbesuch in einen Supermarkt dort in der Nähe gegangen, um Blumen für deine Mutter zu kaufen. Er stand gleich neben mir an der Theke. Mann, bin ich dämlich!«
»Nein. Lass das. Schildere mir einfach, was passiert ist. Hat er dich angesprochen?«
»Ja.« Bo lockerte seine Hände, die sich zu Fäusten geballt hatten, beruhigte sich wieder und beschrieb Reena den Zwischenfall so genau wie möglich.
»Dieses Schwein hat rote Rosen gekauft.«
»Er ist dir gefolgt und hat sich die Zeit genommen, dich zu beobachten. Vom Kunden in den Supermarkt. Offenbar
hat es ihm einen Kick gegeben, mit dir zu reden. Er hat sich überlegen und mächtig gefühlt. Ich brauche eine Schiefertafel. Warum habe ich nicht daran gedacht, mir eine Schiefertafel zu kaufen?«
Stattdessen kramte Reena einen Stadtplan hervor und heftete ihn an die Rückseite der Pinnwand. »So. Am besten markieren wir alle Orte, wo er gesehen wurde.« Sie kennzeichnete die Straße, in der Tony Borelli wohnte, mit einer roten Heftzwecke. »Wo bist du ihm das zweite Mal begegnet?«
»Vor etwa zwanzig Minuten«, erwiderte Bo. »Gegenüber vom Sirico.«
Fast hätte sie die Schachtel mit den Heftzwecken fallen lassen. »War er etwa auf dem Weg ins Lokal?«
»Nein.« Er legte ihr die Hand auf die Schulter. »Er ist weggefahren. Er stand auf der anderen Straßenseite, ein paar Häuser weiter. Als er sah, dass ich ihn bemerkt und wiedererkannt hatte, ist er ins Auto gestiegen.«
»Marke? Modell?«
»Äh …« Er schloss die Augen und überlegte angestrengt. »Toyota. Ich glaube, Allradantrieb. Dunkelblau oder vielleicht schwarz. Es wirft zwar ein schlechtes Licht auf meine Männlichkeit, aber ich kenne leider nicht jede Automarke und jedes Modell, das auf den Straßen unterwegs ist. Dieses Auto kam mir nur vertraut vor, weil eine meiner Exfreundinnen so eines hatte. Jedenfalls habe ich ihm zugewinkt, wie man das bei entfernten Bekannten eben so tut. Als er vorbeifuhr, hat er die Hand aus dem Fenster gehalten und so eine Geste gemacht.« Bo formte mit Daumen
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