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Tödliche Fortsetzung - Bischoff, M: Tödliche Fortsetzung

Tödliche Fortsetzung - Bischoff, M: Tödliche Fortsetzung

Titel: Tödliche Fortsetzung - Bischoff, M: Tödliche Fortsetzung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc-Oliver Bischoff
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möglicherweise noch schwerere psychische Schäden an. Das wollte Nora unbedingt vermeiden.
    Richter hatte bemerkt, dass seine Kollegin völlig in Gedanken versunken dastand. Er wartete, bis ihr Blick wieder im Hier und Jetzt ankam, und kniete sich dann neben die Leiche auf den Boden.
    Die Frau lag auf dem Rücken. Ihre Beine bildeten ein großes V, die Arme waren unnatürlich abgewinkelt. Bis auf einen roten Slip war sie nackt. Auf dem Rücken und an den Körperseiten wanden sich bereits schmale Linien einer blauen Marmorierung – die einsetzenden Leichenflecken –, die Brustwarzen schimmerten violett. Dunkle Haarbüschel hingen der Toten ins Gesicht. Augen und Mund waren weit aufgerissen, als sei sie mitten im Todeskampf erstarrt. In der Mundhöhle entdeckte Nora getrocknetes Blut, vielleicht hatte sie sich im Sterben ein Stück von der Zunge abgebissen.
    »Ihr Name ist Adriana Anghel, dem Pass nach kommt sie aus Moldawien«, erklärte Richter. »Eine Zimmernachbarin, die Hilfe mit einem betrunkenen Freier suchte, hat sie und ihre Tochter in der Nacht gefunden.«
    Nora wurde flau im Magen.
    »Der Täter hat der Frau Hände und Füße hinter dem Rücken zusammengebunden und sie erdrosselt. Der Arzt wollte sich nicht festlegen, ob die Frau noch gelebt hat, als der Täter sich auf sie setzte und ihr dabei die Schultergelenke ausrenkte. Das muss jedenfalls höllisch wehgetan haben.«
    Ja, dachte Nora, vor allem, wenn man währenddessen erstickt. Sie fragte sich, wie sie sich als Opfer in einer solchen Situation verhalten würde. Würde sie irgendwann aufgeben? Oder kämpfen bis zum Ende? »Irgendwelche Spuren?«, erkundigte sie sich halbherzig, denn eigentlich interessierte sie sich mehr für die Tochter der Toten.
    »Wenig. Die Spusi meint, sie haben vielleicht an der Toilette Ejakulatreste gefunden, aber die müssen nicht zwangsläufig vom Mörder stammen. Die gehen auf jeden Fall zum LKA.«
    »Wo ist das Mädchen?«
    »Nebenan. Eine Kollegin ist bei ihr. Sobald Sie mit ihr gesprochen haben, lasse ich sie ins Psychiatrische Zentrum der Uniklinik bringen.« Richters Stimme klang niedergeschlagen. Es ging ihm offensichtlich viel näher, über das Mädchen zu sprechen, als über dessen tote Mutter. Unter den gegebenen Umständen fand Nora das einen unerwartet sympathischen Wesenszug.  
    »Glauben Sie, das Mädchen hat alles gesehen?«  
    Richter stand auf. »Ich fürchte, ja.«  
    Er klang verbittert. »Eigentlich doch ein Segen für uns, oder? Endlich eine Zeugin.«
    Nora schwieg.
    »Ein Segen für die Polizei und ein Fluch für den Betroffenen. Den Mord an der eigenen Mutter mitanzusehen …«, fügte er hinzu, aber der Satz richtete sich nicht direkt an sie oder eine andere Person im Raum, »… so etwas hängt einem den Rest des Lebens nach, oder?«
    »Es hinterlässt tiefe Narben«, pflichte sie ihm bei, »aber man kann lernen, damit umzugehen. Kinder sind sehr verletzlich, aber sie können sich auch erstaunlich schnell regenerieren, sogar erheblich schneller als Erwachsene.« Sie hatte sich bemüht, ihrer Stimme ein wenig Zuversicht zu verleihen. Den letzten Satz hatte sie von einem ihrer Professoren an der Uni geliehen. Aber sie hegte Zweifel, ob sie ihn wirklich glauben konnte.
    Jetzt wurde es Zeit, dass sie mit dem Mädchen sprach.
    Die Streifenpolizistin im Nebenzimmer, eine junge Frau mit Brillantstecker im Nasenflügel, sah aus, als würde sie selbst jeden Moment in Tränen ausbrechen. Nora tätschelte ihre Schulter und nickte aufmunternd. Die Beamtin verließ den Raum und schloss leise die Tür hinter sich. Nora nahm auf dem freigewordenen Stuhl Platz und sah das Mädchen an.
    Ausdruckslosigkeit – dieses Wort kam Nora als erstes in den Sinn, als sie Agniezka betrachtete. Als hätte eine monströse Gewalt die Verbindungen zwischen dem Innen und dem Außen, zwischen den Gefühlen des Mädchens und seiner Projektionsfläche, dem Gesicht und den Augen, gekappt. Hätte sie es nicht besser gewusst, Nora hätte angenommen, dass das Kind unter starken Beruhigungsmitteln stand.
    Sie lächelte aufmunternd. »Hallo, ich bin Nora.«
    Keine Reaktion. Wahrscheinlich verstand das Kind gar kein Deutsch. Den Informationen der moldawischen Behörden zufolge, die Richter vor einigen Minuten übermittelt bekommen hatte, war die Kleine seit vier Monaten im Kindergarten in Mishovka abgängig. Gut möglich, dass sie seither die meiste Zeit in diesem Zimmer ohne Kontakt zur Außenwelt verbracht hatte.
    Nora probierte es mit

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