Tödliche Fortsetzung - Bischoff, M: Tödliche Fortsetzung
Nach außen. Er scheint nachzudenken, sein Blick trübt sich, er lässt die Hand sinken. Schnappt sich die Flasche vom Bürgersteig und trottet aufgebracht davon.
Sie muss in ihrem eigenen Büro klingeln; ihre Hände zittern so sehr, dass sie den Schlüssel nicht ins Schloss bekommt. Eine Zeit lang wartet sie auf seine Entschuldigung. Vergebens. Nach zwei Monaten schickt sie ihm die Kündigung des Vertrags. Und streicht seine Telefonnummer aus ihrem Adressbuch.
Pollock hatte keine Lust, die Situation länger auszusitzen. Lächerlich, dies war schließlich ihr Büro und es stand ihr frei, ihn hinauszuwerfen. Zur Not wirklich die Polizei zu rufen.
Sie stellte sich vor die verschlossene Tür. Atmete tief durch. Dann riss sie die Tür auf und trat ihm entgegen. Therèse lugte neugierig über den Rand des Bildschirms.
»Geh bitte. Was immer du brauchst, hier bekommst du es nicht.«
Kanther saß zusammengesunken im Ledersessel und sah zu ihr hoch, wie ein reuiger Internatszögling im Büro des Direktors. Sein Blick war klar. »Ich wollte mich entschuldigen. Für die Sache damals, beim Essen.«
Pause.
»Und für alles andere.« Er beugte sich hinunter und brachte unter Ächzen einen Blumenstrauß zum Vorschein, der noch in Papier eingeschlagen war.
Suzanne Pollock schüttelte fassungslos den Kopf. Er sah genauso hilflos aus wie an dem Tag, an dem sie dem Bergmannssohn aus Lünen zum allerersten Mal eine Arie von Maria Callas vorgespielt hatte.
Und noch eine Veränderung fiel ihr auf: Er stank nicht nach Alkohol.
Therèse durchwühlte die Hängeregister im Schrank. Neunund- neunzig. Zweitausend. Zweitausendeins. Dann zog sie einen Aktenordner heraus. Schlug den Deckel auf und lächelte.
»Ist sogar ein Foto drin«, sagte sie triumphierend und drückte ihrer Chefin, die wie eine Aufseherin mit Kanther im Schlepptau hinter ihr stand, den Ordner in die Hand.
Dann verzogen sich die beiden geheimnistuerisch in Pollocks Büro, nicht ohne vorher Mittagessen beim Thai um die Ecke zu ordern.
Therèse gab die Bestellung telefonisch durch, schnappte ihre Handtasche mit den tausend kleinen Fächern und Reißverschlüssen und machte sich auf den Weg.
Der Thai-Imbiss mit dem klangvollen Namen Sukothai hatte erst vor einem halben Jahr eröffnet. Es handelte sich um eines von den besseren Schnellrestaurants im Viertel, und die zartgliedrige Asiatin mit den Lachfalten strahlte jedes Mal hinter ihrer Theke, wenn Therèse das Lokal betrat.
»Hallo Rees! Was machen Bücher?«, neckte sie das hübsche Mädchen. Sie kannte ihre Stammgäste. »Dauert noch ein Moment! Sitzen! Warten!«, dirigierte die Frau sie gestenreich an einen Stehtisch.
Therèse nahm auf einem Hocker Platz, dann stellte man ihr ein Schälchen Jasmintee hin. Sie trank einen Schluck von der heißen, intensiv duftenden Flüssigkeit. Mit einem Mal spürte sie ein Prickeln im Nacken. Beobachtete sie jemand? Sie sah sich in dem winzigen Laden um. Schräg gegenüber ein Anzugträger, versunken in seine Zeitung. An der Theke eine Mutter mit Baby im Tragetuch, die alle paar Sekunden nervös durch die Panoramascheibe zu ihrem Buggy mit dem schlafenden Geschwisterkind schaute. Um den letzten Gast in Augenschein zu nehmen, musste sich Therèse umdrehen. Schräg hinter ihr saß ein Mann. Klein, drahtig, rote Haare. Trotz des warmen Wetters trug er ein Hemd mit langen Ärmeln. Er sah demonstrativ an ihr vorbei zur Theke.
Therèse musste lächeln. Diesen starren Blick kannte sie gut: Männer setzten ihn immer dann auf, wenn sie dabei ertappt wurden, wie sie Therèse beobachteten. Dann sah der Mann doch noch zu ihr herüber. Seine Augen waren grün, ein giftiges Grün , das sie an eine exotische Schlange erinnerte, die sie einmal in einem Terrarium im Frankfurter Zoo gesehen hatte. Auf dem Schild an der Glaswand hatte sie gelesen, ihr Gift wäre in der Lage, einen Menschen binnen weniger Minuten zu töten.
Kanther hatte seine ehemalige Agentin vorbehaltlos über die Wiedergeburt des Drachentöters und seine eigene Rolle in der Geschichte aufgeklärt. Es hatte sich gut und richtig angefühlt, so wie in den Jahren vor dem Bruch, in denen er regelmäßig sein Seelenleben vor ihr ausgebreitet hatte. Nach seiner Offenbarung fühlte er sich gelöst und gespannt zugleich, begierig darauf, die Identität des Drachentöters zu lüften.
Pollock reagierte weniger gelassen. Sie bevorzugte es, sich in die kranke Seelenlandschaft fiktiver Psychopathen hineinzuversetzen. Es
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