Tödliche Fortsetzung - Bischoff, M: Tödliche Fortsetzung
benutzen.«
Raven bediente ihren Rechner, während sie antwortete. »Wir sind noch in der Betaphase.«
»Es ist wichtig, Elizabeta.« Kühnasts Stimme hatte einen harten Ton angenommen.
Ihre Finger hielten auf der Tastatur inne. »Habt ihr ein Bild?«, fragte sie nach einer kurzen Pause.
»In der Falldatenbank«, erwiderte Nora. Sie nannte das Aktenzeichen, wenige Augenblicke später blickten sie in die starren Gesichter von Elena und Natalia Pawlenko sowie Adriana Anghel.
»Das sind keine biometrischen Passbilder«, sagte Raven enttäuscht.
»Ist das ein Problem?«
»APIS funktioniert am besten mit biometrischen Passbil dern«, sagte Raven. »Wir suchen nach bestimmten Merkmalen: Augen, Wangenknochen, die seitliche Mundpartie. Bereiche des Gesichts, die sich durch die Mimik nicht wesentlich ver-ändern. Es ist dem System dann völlig egal, ob jemand einen Bart trägt, die Haare gefärbt hat oder aus welchem Winkel er in die Kamera blickt. Aus den normalisierten Merkmalen erstellen wir ein sogenanntes Template, das wir mit den Templates in der Datenbank vergleichen.«
Nora ahnte, warum der BND sich für ein solches System interessierte. »Diese drei Bilder sind im Moment alles, was wir haben«, entschuldigte sie sich.
Raven zuckte gelangweilt die Schultern. Dann fing sie an, die Bilder in ihrem Computer zu bearbeiten. Sie schnitt sie zu, drehte sie, änderte Kontrast und Farbtiefe, korrigierte die Helligkeit. Einen Knopfdruck später überzog ein Gitternetz aus hellen Lichtpunkten die markanten Stellen, wie Pupillen, Nase, Wangenknochen und Kinn. Raven verschob einige Punkte um wenige Millimeter mit dem Mauszeiger. Nun wirkten die Gesichter der drei toten Prostituierten auf dem Bildschirm verfremdet, wie von Andy Warhol in Fehlfarben gedruckte Porträts. Kühnast schüttelte staunend den Kopf.
Raven betätigte mit theatralischer Geste die ENTER-Taste. Dann stand sie wortlos auf und ließ die beiden Polizisten verdutzt auf ihren Bürostühlen zurück. Sie ging zu einem der zehn Schachbretter hinüber und verschob nach kurzem Nachdenken einen Bauern.
»Jetzt heißt es: warten«, sagte sie.
Nora war sich nicht sicher, ob Elizabeta das APIS-System meinte oder ihre Schachpartie. »Wie lange?«
»Theoretisch kann man APIS unendlich lange laufen lassen. Aber wenn wir innerhalb von vier bis fünf Stunden nichts finden, stehen die Chancen schlecht.«
Nora stand auf. »Dann melde ich mich heute Nachmittag noch mal bei Ihnen«, erwiderte sie.
»Fünf!«, sagte Raven an Kühnast gerichtet. »Vielleicht schaffe ich es dieses Mal sogar in vier Zügen.«
Noras Kollege nickte ergeben und holte sein Portemonnaie aus der Tasche. Offensichtlich spielten Kühnast und das Mädchen um Geld.
Raven schüttelte energisch den Kopf. »Gezahlt wird erst am Schluss.«
Den Marsch zum Aufzug legten Kühnast und Nora schweigend zurück. Erst als der Lift sie mit einem leisen Summen nach oben trug, nahm Nora das Gespräch wieder auf. »Ich dachte, solche Leute gibt’s nur im Kino.«
»Willkommen im einundzwanzigsten Jahrhundert«, meinte Kühnast. »In dem die Wirklichkeit das Kino imitiert.«
»Vielen Dank jedenfalls für deine Hilfe. Woher kennst du Elizabeta eigentlich?«
»Ihr Vater war ein ungarischer Großmeister. Bei dem habe ich vor vielen Jahren einmal ein Schachseminar belegt. Er hat sein Mädchen – nur so zum Spaß – simultan gegen die fünfzehn Teilnehmer spielen lassen. Da war sie zwölf Jahre alt. Du kannst dir meine Überraschung vorstellen, als die letztes Jahr plötzlich hier auftauchte.«
»Und wie hat sie damals gespielt?«
»In dem Seminar? Elf gewonnen, vier Remis.«
Nora und Kühnast verabschiedeten sich. Auf dem Gang kam Grauvogel Nora entgegen. Er wedelte mit einem kleinen Zettel herum, auf den er eine Telefonnummer gekritzelt hatte.
»Nora, tut mir leid, ich hab das total vergessen: Kanther hat gestern angerufen. Und gerade eben noch einmal. Du sollst dich bei ihm melden, er hätte etwas für dich.«
Nora sah erst auf den Zettel, dann auf die Uhr. Bis das APIS-System Ergebnisse liefern würde, hätte sie ein paar Stunden Zeit. Sie holte ihr Handy aus der Tasche und tippte Kanthers Nummer ein.
*
Kanthers ehemalige Literaturagentin Suzanne Pollock besaß zwei Handys und sie beherrschte wie ein Börsenmakler die Kunst, mit beiden gleichzeitig zu telefonieren. Im Moment besänftigte sie auf der einen Leitung einen Autor, der mit gezücktem Streichholz im Begriff stand, sein vierhundert Seiten
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