Tödliche Fortsetzung - Bischoff, M: Tödliche Fortsetzung
eines Briefumschlags. Sie hörte die Mobilbox ab. Die Nachricht stammte von Kussmaul, dem stellvertretenden Leiter der Pressestelle. Die Boulevardblätter hätten spitzbekommen, dass Agniezka Anghel ausgewiesen werden solle, denn es gäbe da noch einen entfernten Onkel in Mi-shovka. Außerdem wolle eine Politikerin sich für den Verbleib des Mädchens einsetzen. Nun bräuchte er von Nora ein Statement der Polizei zur Situation.
Nora sah auf die Uhr, es war kurz nach vier. Also keine vierundzwanzig Stunden mehr und es gab noch so viel zu organisieren. Die unangenehmste Aufgabe würde sie zuerst erledigen: Die Details des Zugriffs mit dem Leiter des Einsatzteams absprechen. Hartmann hatte ausgerechnet Gideon Richter zum Einsatzleiter ernannt. Sie durfte sich bei der Planung keinen Fehler erlauben. Richter wartete doch nur darauf, sie bloßzustellen.
24. März
Die elegant gekleidete Frau mit den kurzen grauen Haaren hatte keine Ahnung, wovon er sprach.
Der Schüler sah es an ihrem Blick und an ihrer Haltung. An ihren Händen, die nervös mit den Perlen ihrer Kette spielten. Suzanne Pollock, Kanthers Agentin, hatte nichts von dem Treffen im Kombucha gewusst, und er begann, daran zu zweifeln, ob sie jemals sein Manuskript zu Gesicht bekommen hatte.
Überraschte ihn das? Enttäuschte es ihn?
Viele Dinge, die in den letzten Tagen geschehen waren, verunsicherten ihn, weil er sich keinen Reim darauf machen konnte. Da war zum einen die Anfrage im Forum. Er hatte die Bilder dort eingestellt, anfangs ohne sich darüber im Klaren zu sein, warum. Eigentlich hatte er kein großes Interesse daran, Fotos zu tauschen. Wochenlang hatte ihm kein einziger Teilnehmer des Forums Beachtung geschenkt, seine Bilder waren unkommentiert geblieben.
Dabei hatte er im Grunde auf eine Reaktion gewartet, auf ein Zeichen. Es blieb aus. Und plötzlich hatte sich ein neuer Benutzer registriert und ihn gezielt angesprochen. Das hatte sein Misstrauen geweckt.
Zum anderen war da der Mentor, der seine Adresse ausfindig gemacht hatte. Er war unverrichteter Dinge abgezogen, dann aber zurückgekommen und hatte gegen seine Tür gehämmert. Einen Moment lang hatte er befürchtet, Kan-ther würde sich gewaltsam Zutritt zu seiner Wohnung verschaffen. Seitdem hatte er das ungute Gefühl, auf der Flucht zu sein, nur im Schutz der Nacht nach Hause zurückkehren zu können.
Wovor hatte er Angst? Sollte er sich nicht vielmehr über die Kontaktaufnahme des Mentors freuen? Nein. Auch wenn er nach Anerkennung durch sein Vorbild gierte, bevorzugte er es, sie aus der Distanz zu erhalten.
Unerklärlich fand er ebenfalls Kanthers plötzlichen Wunsch, ihn seiner Agentin vorzustellen, so sehr der Schüler das auch als Kompliment auffassen wollte.
Der Schüler hatte viele Stunden in seinem Zimmer verbracht, im Schoß der Nacht. Den Blick starr auf die alte Reiseschreibmaschine gerichtet, die er vor einer Ewigkeit auf dem Flohmarkt erstanden, aber nie benutzt hatte. Im Haus und auf der Straße war alles ruhig, der Mond hing wie eine schmutzige Scheibe zwischen den Fassaden.
Er hatte sich einzureden versucht, dass der Mentor Potenzial in seinem Manuskript sah. Potenzial, das er selbst schon verloren geglaubt hatte. Nach jeder Frau, die für seine Kunst gestorben war, hatte er zwar das Handwerk des Tötens besser beherrscht, doch die Schilderung seiner Taten löste immer weniger Gefühle in ihm aus. Weil Schreiben in seinem Fall kein kreativer Prozess, sondern eine starre Wiedergabe der Realität war. Weil ihm die Dekoration fehlte, das Überhöhte, das Fleisch auf dem Knochen. Die Dekoration war alles, was zählte, sie war wichtiger als das Authentische, sie machte es über authentisch.
Er hatte große Angst davor, dass der nächste Mord ihn völlig kaltlassen würde. Beim Töten war das praktisch. Aber beim Schreiben musste er sich berührt fühlen, andernfalls konnte auch er niemanden berühren, denn seine Geschichte würde so tot sein wie die Huren, die für sein schriftstellerisches Werk gestorben waren.
Was führte der Mentor im Schilde? Die Agentin, die irritiert und verunsichert vor ihm stand, schien es genauso wenig zu wissen.
Kanther hatte ihn belogen. Er hatte ihn allem Anschein nach in eine Falle gelockt.
Trotzdem musste er unbedingt herausfinden, wie der Mentor es geschafft hatte, sich seine Empfindsamkeit beim Töten und beim Schreiben des Drachentöters zu bewahren.
Er musste den Lehrer treffen, sich Klarheit verschaffen. Darum hatte er
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