Tödliche Geschäfte
Ich bin vor allem neugierig, was man ihm erzählt hat. Irgendwas müssen sie ihm ja gesagt haben, damit er die entsprechenden Einwilligungsformulare unterschrieben hat.«
»Wie kommst du darauf, daß er mit dir reden wird?« fragte Janet.
»Wie sollte er meinem irischen Charme widerstehen?« gab Sean zurück.
»Mal im Ernst«, sagte Janet. »Die Leute reden nicht gern über ihre Gebrechen.«
»Über ihre Gebrechen vielleicht nicht«, sagte Sean. »Aber die Genesung von einer normalerweise tödlichen Krankheit ist etwas völlig anderes. Die Leute lieben es, darüber zu reden, genauso wie von dem weltberühmten Arzt, der dieses Wunder ermöglicht hat. Ist dir nie aufgefallen, daß die Menschen gern glauben, ihr Arzt sei weltberühmt, selbst wenn er in einem Kaff wie Maiden oder Revere praktiziert?«
»Du glaubst wohl, daß du mit deiner Dreistigkeit immer durchkommst«, entgegnete Janet. Sie war keineswegs überzeugt, daß sich Malcolm Betancourt Seans Anruf gegenüber so aufgeschlossen zeigen würde, aber sie wußte auch, daß sie nichts tun konnte, um Sean davon abzuhalten, es zu versuchen. Und von der neuen Sorge wegen der Polizei einmal abgesehen, war ein Wochenende fernab der Klinik noch immer eine wunderbare Vorstellung, selbst wenn Sean bei ihrem Ausflug Hintergedanken gehabt hatte. Sie dachte, daß sie und er vielleicht sogar die Zeit finden würden, über ihre Zukunft zu reden. Schließlich würde sie Sean mit Ausnahme von Malcolm Betancourt zwei Tage ungestört für sich haben.
»Wie bist du mit der Probe von Louis Martins Medikament zurechtgekommen?« fragte Janet, die sich vorgenommen hatte, bis zum Abendessen keine schwierigen Themen mehr anzusprechen. Sie stellte sich ein Dinner bei Kerzenschein auf einer Terrasse mit Blick aufs Meer vor. Dann würde sie über Liebe, Verpflichtung und Treue reden.
Sean warf ihr einen genervten Blick zu. »Die charmante Direktorin der Forschungsabteilung hat mich gestört«, sagte er. »Sie hat mir die Leviten gelesen und mich wieder zurück an die schwachsinnige Forbes-Glykoprotein-Front beordert. Sie hat mich echt kalt erwischt; dieses eine Mal wußte ich wirklich nicht, was ich sagen sollte.«
»Das tut mir leid«, sagte Janet.
»Na ja, früher oder später mußte das wohl passieren«, sagte Sean. »Aber schon bevor die alte Hexe aufgetaucht ist, lief es nicht so toll. Bisher ist es mir nicht gelungen, eine Reaktion zwischen Helens Medikament und irgendeinem zellulären, viralen oder bakteriellen Antigen hervorzurufen. Aber du hattest wohl recht mit deiner Vermutung, daß alle Medikamente aus einem Vorrat stammen. Ich habe eine Probe von Louis’ Medikament an Helens Tumor getestet, und es hat bei demselben Lösungsverhältnis genauso heftig darauf reagiert wie ihr eigenes Medikament.«
»Also ist es dasselbe Medikament«, sagte Janet. »Was ist daran so spektakulär? Wenn Leute mit Antibiotika behandelt werden, bekommen auch alle dasselbe Medikament. Das persönliche Etikett für jeden Patienten ist wahrscheinlich nur zur Kontrolle.«
»Aber eine Immuntherapie gegen Krebs kann man nicht mit Antibiotika vergleichen«, entgegnete Sean. »Wie bereits gesagt, sind Tumore antigenetisch spezifisch, selbst wenn es sich um die gleiche Krebsart handelt.«
»Ich dachte, ein Axiom wissenschaftlicher Logik bezieht sich auf die Ausnahmen«, sagte Janet. »Wenn man zu einer Hypothese eine Ausnahme findet, muß man die Ausgangsvermutung überdenken.«
»Ja, aber…«, sagte Sean, bevor er innehielt. Was Janet sagte, war durchaus vernünftig. Tatsache war, daß das Forbes-Zentrum mit einem offensichtlich nicht individualisierten Medikament eine Remissionsrate von einhundert Prozent erzielte. Sean hatte den Erfolg in dreiunddreißig Fällen dokumentiert gesehen. Deshalb mußte er mit seinem Beharren auf der immunologischen Spezifität von Krebszellen einem Irrtum unterliegen.
»Du mußt doch zugeben, daß da was dran ist«, bohrte Janet nach.
»Okay«, sagte Sean, »aber ich glaube, etwas an der Sache ist trotzdem komisch. Irgendwas fehlt mir noch.«
»Natürlich«, sagte Janet. »Du weißt nicht, mit welchem Antigen das Immunglobulin reagiert. Das fehlt dir. Wenn du das herausbekommen hast, wird sich alles andere klären. Laß uns einfach mal sehen, wie sich ein entspanntes Wochenende auf deine Kreativität auswirkt. Vielleicht hast du ja am Montag eine zündende Idee, wie du deine offensichtliche Blockade überwindest.«
Nachdem sie das Herz der Everglades durchquert
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