Tödliche Gier
weiter. Ich bin gleich wieder da.«
Ich sah, wie er zu dem Taucher hinüberging und außer Hörweite der Umstehenden ein Gespräch mit ihm begann. Ich wandte meine Aufmerksamkeit Detective Paglia zu, dessen Blick sich erbarmungslos in meinen bohrte. Ich vermutete, dass er ein ehemaliger Militär war, ein Mann, der Sterben und Tod aus nächster Nähe erlebt und womöglich selbst eine nicht zu knappe Dosis davon verabreicht hatte. Seine Art wirkte freundlich ohne das lästige Hindernis irgendwelcher zu Grunde liegender Herzlichkeit. Wenn er umgänglich war, so war dies ein Zug, den er erworben hatte, indem er die Regeln für »umgängliches Verhalten«, die er bei seinen Mitmenschen beobachtete, genauestens befolgte. Wenn er höflich war, dann deshalb, weil er mit Höflichkeit meist das bekam, was er wollte, in seinem Fall also Unterstützung, Information, Kooperation und Respekt. Als Berufsverbrecher wäre ich vor diesem Mann auf der Hut gewesen. Jedenfalls achtete ich — angesichts meines früheren Hangs zu Lügen, Einbrüchen und Bagatelldiebstahl — darauf, meine Antwort sorgfältig zu formulieren. Ich nahm zwar nicht an, dass er mich irgendeines Vergehens verdächtigte, wollte aber offen und ehrlich wirken, was mir nicht schwer fiel, da ich in diesem Fall (ausnahmsweise) die Wahrheit anzubieten hatte. »Ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll. Ich war oben bei Lloyd. Das ist Crystals Exmann.«
»Leilas Stiefvater.«
»Genau. Heute Morgen hat sie das Internat ohne Erlaubnis verlassen, und Crystal hat vermutet, dass sie zu ihm unterwegs wäre. Ich versprach Crystal, mich auf die Suche nach ihr zu machen, und fing an, die Gegend dort bei der Little Pony Road und der 101 abzufahren. Sie muss per Anhalter gefahren sein, weil ich sie dort am Straßenrand aufgegabelt habe. Ich habe sie dazu überredet, sich von mir zu Lloyd bringen zu lassen. Bei unserer Ankunft war er nicht da, aber sie hat die Haustür mit einem Ersatzschlüssel aufgesperrt. Sein Haus ist das mit dem steilen Dach«, erklärte ich und zeigte auf die andere Seite des Sees. Unter der Last von Paglias Blick klang meine Stimme unaufrichtig, und ich ertappte mich dabei, wie ich ein paar unwesentliche Details hinzufügte. »Na ja, eigentlich ist es gar nicht seines. Er hütet das Haus nur für einen Freund, der momentan in Florida ist. Jedenfalls bin ich durchs Haus geschlendert, während wir auf ihn gewartet haben. Leila hat ferngesehen, und ich bin auf die Galerie gestiegen. Dort habe ich das Teleskop entdeckt und mir gedacht, es könnte interessant sein, mal durchzuschauen. Ich war erstaunt, als ich gemerkt habe, wo ich bin. Mir war nicht bewusst gewesen, dass dieser Teil von Gramercy direkt gegenüber von Fionas Haus liegt.«
»Sie glauben, es gibt einen Zusammenhang?«
»Zwischen Lloyd und Fiona? Das weiß ich nicht, aber ich bezweifle es. Ich habe nie auch nur die geringste Andeutung in diese Richtung gehört.«
Er zog eine Altoids-Dose hervor, schob den Deckel auf und legte die erloschene Kippe hinein. Ich sah, dass er den Boden der Dose mit Asche gefüllt hatte, offenbar seine Art, eine Verschmutzung des Tatorts zu vermeiden. Er steckte die Dose wieder ein und fixierte mich mit seinen grauen Augen.
»Halten Sie das hier für den Schauplatz eines Verbrechens?«, fragte ich.
»Selbstmord ist ein Verbrechen«, gab er zurück. »Erzählen Sie weiter.« Seine unteren Zähne waren in der Mitte ineinander verkeilt und hatten Flecken an den Rändern. Es war das Einzige an ihm, das er nicht unter Kontrolle zu haben schien.
»Als ich durch das Teleskop geschaut habe, habe ich den Hund gesehen — es ist ein Schäferhund namens Trudy. Ich erkannte ihn wieder von meinen zwei Besuchen bei Fiona, er war immer hier drüben und hat sich die Seele aus dem Leib gebellt.«
»Hunde können Leichen auch unter Wasser riechen«, sagte Paglia. Es war die erste Information, die er mir gegeben hatte.
»Tatsächlich. Das wusste ich nicht. Ich habe Trudy zwar angemerkt, dass sie aufgeregt war, aber ich hatte keine Ahnung, warum. Abgesehen von Trudy habe ich noch Schrammen an dem Felsen auf halber Höhe des Hügels entdeckt.« Erneut zeigte ich mit dem Finger, wie eine Fünftklässlerin, die ein Referat hält. »Außerdem wurde die Vegetation beschädigt; es sind einige junge Triebe abgeknickt. Zuerst dachte ich, jemand müsse einen Anhänger rückwärts herunterrangiert haben, um ein Boot zu Wasser zu lassen, doch dann habe ich das Schild entdeckt, und mir
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