Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tödliche Gier

Tödliche Gier

Titel: Tödliche Gier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
Vom Netzwerk:
wurde klar, dass Schwimmen und Bootfahren natürlich verboten sind.«
    Er musterte mich wie beiläufig und mit einem Gesichtsausdruck, der aufgesetzte Freundlichkeit vermittelte. »Mir ist trotzdem nicht klar, wie Sie den Zusammenhang hergestellt haben.«
    »Es passte eben auf einmal alles zusammen. Dr. Purcell war zuletzt am Pflegeheim gesehen worden. Ich hatte erfahren, dass er auf dem Weg hierher war, um Fiona zu besuchen, also habe ich —«
    »Wer hat Ihnen denn das gesagt?«
    »Ein Freund von Purcell, ein Mann namens Jacob Trigg. Dow hat ihm erzählt, dass er an diesem Abend eine Verabredung mit ihr hatte.«
    »Haben Sie mit ihr darüber gesprochen?«
    »Na ja, gefragt habe ich sie schon. Ich war sauer. Schließlich arbeite ich für sie. Sie hätte es mir gleich sagen sollen, als ich den Auftrag angenommen habe.«
    »Und was hat sie geantwortet?«
    »Sie behauptet, er sei nicht aufgetaucht, und nennt es ein >Missverständnis<. Ich habe daraus geschlossen, dass er sie versetzt hat und ihr das zu peinlich war, um es zuzugeben.«
    »Ein Jammer, dass sie uns das nicht verraten hat. Wir hätten die Anwohner befragen können. Vielleicht hätte ja jemand das Auto gehört. Aber wer erinnert sich über neun Wochen später schon an so was?«
    Hinter ihm hörte ich das hohe Jaulen eines Getriebes und ein Rumpeln, als sich das Seil um die Trommel des Abschleppwagens wand und den Mercedes aus dem See zog. Wässer strömte aus den offenen Fenstern, von der Unterseite und aus den Radbefestigungen. Daneben stand der Transporter des Gerichtsmediziners mit geöffneten Heckklappen im Gras. Sein Assistent und ein uniformierter Polizist zogen eine lange Metallkiste heraus, in der ich den rostfreien Stahlsarg erkannte, der für den Transport von Wasserleichen vorgesehen war.
    »Kinsey«, sagte Paglia.
    Ich wandte ihm den Blick zu. Mir war kalt.
    »Der Taucher sagt, es sitzt jemand auf dem Fahrersitz.«
    Der Mercedes hing jetzt vornüber geneigt da, die Schnauze voran und drei der vier Fenster offen. Seewasser strömte aus jeder Ritze und Rinne, rann durch den Unterboden und troff auf Erdreich, das ohnehin bereits von tagelangem Regen durchweicht war. Ich sah zu und unterdrückte meine Gefühle, während das Fahrzeug ein Stück weit die Anhöhe hinaufgezogen wurde und Wasser aus sich ergoss wie ein Tank, der plötzlich leckgeschlagen ist. Das Fenster auf der Fahrerseite war zerschmettert. Die untere Hälfte stellte ein Labyrinth aus krakeliertem Glas dar, während im oberen Teil ein Stück fehlte. Auf dem Fahrersitz konnte ich eine entfernt menschlich aussehende Gestalt erkennen, amorph, aufgebläht und schleimig, das Gesicht dem Fenster zugewandt, wie um den Ausblick zu betrachten. Nach Wochen im Wasser war das einst lebendige Fleisch blutleer und perlweiß gebleicht. Er trug nach wie vor seine Anzugjacke, doch das war alles, was ich von meinem Standort aus sehen konnte. Ich drehte mich abrupt um und stieß unwillkürlich einen Laut aus. Der Klebstoff, der die Knochen des Toten zusammenhielt, war aufgeweicht und hatte sich gelöst, so dass sein Leib schwammig und undefinierbar wirkte. Die Augenhöhlen waren von farbloser Gelatine überzogen, der Mund stand offen, und der Kiefer war schlaff. Seine Lippen hatten sich zu einem letzten O der Freude oder des Erstaunens geöffnet — vielleicht auch zu einem zornigen Aufschrei.
    »Ich bin dann im Auto«, sagte ich.
    Paglia hörte mich nicht. Er ging auf den Mercedes zu. Das Spurensicherungsteam trat zur Seite. Aus den Augenwinkeln nahm ich die Blitze wahr, als die Polizeifotografin mit ihrer Arbeit begann. Ich konnte nicht länger zusehen. Ich konnte hier nicht mehr bleiben. Diese Leute waren den Anblick des Todes gewohnt, sie waren geübt in seinen Gerüchen, seinen Posen und der speziellen Haltung von Leibern in ihrer letzten Verbeugung vor dem Leben. Normalerweise gelingt es mir, angesichts solcher Szenarien nach dem ersten Aufwallen von Ekel eine gleichgültige Haltung einzunehmen. Doch hier schaffte ich es nicht, da ich das Gefühl nicht abschütteln konnte, etwas Bösem gegenüberzustehen. Vorausgesetzt, es handelte sich um Purcells Leiche, dann hatte er entweder Selbstmord begangen oder war ermordet worden. Es war ausgeschlossen, dass er aus Versehen diesen Hügel hinauf- und in den See hinabgefahren sein könnte.

16

    Als ich in meine Wohnung zurückkam, war es schon nach zehn Uhr. Die Spurensicherung war nach wie vor am Stausee zugange, obwohl ich mir nicht vorstellen konnte,

Weitere Kostenlose Bücher