Tödliche Gier
auf der einen Seite und die Fionas auf der anderen. Manchen fiel die Entscheidung leicht. So nahmen zum Beispiel Dana und Joel ohne Zögern ihre Plätze ein und gingen Dows zweiter Frau aus Verbundenheit mit der ersten demonstrativ aus dem Weg. Die, die ich für gemeinsame Bekannte hielt, schienen unschlüssig und berieten sich verstohlen, bevor sie in eine Bank rutschten. Während die Nachzügler ihre Plätze einnahmen, arbeitete sich eine unsichtbare Organistin (oder war es ein Mann?) durch einen Reigen schmerzvoller Melodien, eine Art Hitparade der Totenklagen. Ich nutzte die Zeit, um über die Kürze des Lebens zu sinnieren und mich zu fragen, ob Richard Hevener vorhatte, meines vorzeitig zu beenden. Mariah hatte bei ihrem Rückruf nicht übermäßig besorgt gewirkt. Ihre Theorie war, dass die Heveners so kurz nach dem ersten nicht schon wieder einen Mord riskieren würden. Trost war mir das keiner.
Crystal hatte alles in Eile arrangiert, und das merkte man. Ich nehme an, die Planung einer Trauerfeier ist so ähnlich wie die jedes anderen gesellschaftlichen Ereignisses. Manche Leute haben ein Gespür dafür und manche nicht. Was dieses Begängnis hier merkwürdig machte, war das Fehlen eines Sargs, einer Urne sowie von Blumengestecken. In der Zeitungsanzeige war darum gebeten worden, anstelle von Blumen in Dr. Purcells Namen etwas für einen guten Zweck zu spenden. Und man hatte nicht einmal ein Foto von ihm aufgestellt.
In Sachen Sitzordnung war ich mit mir im Widerstreit. Zwar hatte mich Crystal eingeladen, aber da ich theoretisch nach wie vor in Fionas Diensten stand, fühlte ich mich beruflich verpflichtet, mich auf ihre Seite der Kirche zu setzen. Ich hatte mich für den Gangplatz in der letzten Bank entschieden, von wo aus ich einen Panoramablick hatte. Fionas ältere Tochter Melanie war aus San Francisco gekommen und geleitete ihre Mutter so feierlich den Mittelgang hinab wie ein Vater, der seine Tochter zum Traualtar führt. Fiona war — wenig erstaunlich — schwarz gekleidet: ein zweiteiliges Wollkostüm mit großen Knöpfen aus Bergkristall an der Jacke und einem wadenlangen Rock. Ihre Locken hatte sie unter einem schwarzsamtenen Glockenhut gebändigt. Dazu trug sie einen Schleier, der mich an die Maske des Lone Ranger erinnerte. Ich sah, wie sie sich ein Taschentuch an den Mund drückte, aber vielleicht tupfte sie sich eher den Lippenstift ab, als dass sie mit den Tränen rang. Melanies Haar war dunkel wie das ihrer Mutter, doch sie hatte eine reichlich strenge Frisur: mit Henna getönt und stumpf geschnitten, dazu ein dichter, unnachgiebiger Pony. Sie war größer und kräftiger und trug einen nüchternen anthrazitfarbenen Hosenanzug und schwarze Stiefeletten.
Blanche folgte ihnen in einem voluminösen Umstandszelt den Gang entlang. Sie bewegte sich langsam und umarmte mit beiden Händen ihren Bauch, als müsste sie ihn an Ort und Stelle halten. Sie ging so vorsichtig wie jemand, dessen Suppe aus dem Teller zu schwappen droht. Ihr Mann Andrew begleitete sie, seine Schritte den ihren angepasst. Die Kinder hatten sie zu Hause gelassen — eine Gnade für uns alle.
Mrs. Stegler von Pacific Meadows setzte sich direkt vor mich: braunes Kostüm, braune Schnürhalbschuhe und der rote Lockenschopf. Dazu kamen zahlreiche Ärzte in dunklen Anzügen und einige ältere Leute, in denen ich Dr. Purcells frühere geriatrische Patienten vermutete.
Auf der anderen Seite des Gangs wurden Crystal und Leila zu ihren Plätzen in der ersten Bank links geleitet. Crystal trug ein schlichtes schwarzes Etuikleid, und ihre zerzauste blonde Mähne verlieh ihr eine Ausstrahlung von eleganter Unordnung. Sie sah müde aus, ihr Gesicht wirkte verhärmt, und sie hatte dunkle Ringe unter den Augen. Leila hatte das Exotische zugunsten des Ausgefallenen aufgegeben: ein hautenges Top aus schwarzem Latex zu einem schwarzen, mit Pailletten bestickten Rock. Ihr kurzes weißblondes Haar stand ihr vom Kopf ab, als wäre es elektrisch aufgeladen. Jacob Trigg trug Sakko und Krawatte und schwang sich an seinen Krücken in die Kirche. Er rutschte auf einen hinten gelegenen Platz auf Fionas Seite. Anica Blackburn erschien und lächelte mir kurz zu, bevor sie sich in die Bank gegenüber meiner setzte. Man hörte das gewohnte Rascheln und Murmeln, unterbrochen von gelegentlichem Husten. Ich sah in mein Programm und fragte mich, wie Crystal es geschafft hatte, es so schnell drucken zu lassen. Alles in allem waren verschiedene Kirchenlieder
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