Tödliche Gier
Stock. In mehreren Räumen auf der vorderen rechten Seite brannte Licht. Ich stieg ganz hinauf, klopfte an die Tür und wartete. Hinter mir, durch die Lücke zwischen den beiden Gebäudehälften, konnte ich sehen, wie der Regen die Straßenlampen wie mit Verbandsmull umhüllte. Ein Luftzug brauste durch die Lücke, und es war kalt.
»Wer ist da?«
»Ms. Bart?«
Ich hörte, wie sie die Sicherheitskette vorlegte. Dann öffnete sie die Tür einen Spalt weit. »Ja?«
»Entschuldigen Sie, dass ich Sie zu Hause störe. Mein Name ist Kinsey Millhone. Ich bin Privatdetektivin und arbeite für Dr. Purcells Exfrau. Kann ich Sie sprechen?«
»Ich weiß überhaupt nichts. Ich habe ihn seit Monaten nicht gesehen.«
»Sie wissen wahrscheinlich, dass seine Leiche im Brunswick Lake gefunden wurde?«
»Ich hab’s gelesen. Was ist denn passiert? Das stand nämlich nicht in der Zeitung.«
»Wäre das wichtig für Sie?«
»Tja, ich glaube jedenfalls nicht, dass er Selbstmord begangen hat, falls Sie das beweisen möchten.«
»Zu dieser Ansicht neige ich auch, aber womöglich werden wir es nie erfahren. In der Zwischenzeit versuche ich die Ereignisse zu rekonstruieren, die sich vor seinem Tod abgespielt haben. Wissen Sie noch, wann Sie ihn das letzte Mal gesprochen haben?«
Sie antwortete nicht, doch ich las in ihren Augen, dass sie etwas zu sagen hatte.
Der Wind drehte sich, und ein Schleier dünnen Regens fegte mir seitlich gegen das Gesicht. Spontan sagte ich: »Könnte ich reinkommen? Hier draußen wird’s langsam ziemlich frisch.«
»Woher soll ich wissen, dass Sie auch die sind, als die Sie sich ausgeben?«
Ich fasste in meine Handtasche und holte die Brieftasche heraus. Ich zog die Lizenz aus dem Fensterfach und reichte sie ihr durch den Türspalt. Sie studierte sie kurz, gab sie mir zurück und schloss die Tür, um die Kette loszumachen. Dann löste sie die Türverriegelung, um mich einzulassen.
Sowie ich drinnen war, wiederholte sie den gesamten Prozess in umgekehrter Reihenfolge. Ich streifte den Regenmantel ab, häng-te ihn an einen Hutständer neben der Tür und sah mich rasch um. Die Einrichtung war eine seltsame Mischung aus altem Charme und Ärgernissen: Türbogen und Hartholzböden, schmale Fenster mit vergilbten Jalousien und ein klobig aussehender Wandheizkörper neben der Schlafzimmertür. Im Wohnzimmer prangte ein offener Kamin mit einem Gitter, wo ein teilweise verkohlter Holzscheit auf einem Aschehaufen lag. In der Wohnung war es nicht viel wärmer als draußen, aber wenigstens blies kein Wind. Durch einen Bogen an der Wand gegenüber konnte ich einen Streifen Badezimmerfliesen sehen, im Retrostil abwechselnd dunkelbraun und beige und vermutlich gelegt, als das Haus gebaut worden war. Ohne die Küche gesehen zu haben, wusste ich, dass moderne Annehmlichkeiten dort fehlten: keine Spülmaschine, keine Müllpresse, kein Müllschlucker. Der Herd wäre vermutlich ein Original, ein echter, alter O’Keefe and Merritt mit zwei Backöfen mit Glasfront und einer Garnitur zusammenpassender Salz- und Pfefferstreuer in einem Kästchen darüber. Frisch verchromt und komplett überholt würde der Herd ein Vermögen kosten, obwohl der eine Backofen nie richtig funktionieren und die trendige junge Frau, die ihn gekauft hatte, ohne das zu ahnen, ihr Brot zu kurz backen würde.
Tina bedeutete mir, dass ich mich auf einen grauen Polstersessel setzen könne, während sie zu ihrem Platz auf der Couch zurückkehrte. Sie war jünger, als ich erwartet hätte, nämlich Anfang vierzig, und derart leblos, dass ich mich fragte, ob sie unter Beruhigungsmitteln stand. Ihr Haar hatte die Farbe von Eichenholz, wie man es in alten Hartholzböden sieht. Sie trug einen Jogginganzug: eine graue Hose mit Zugband und eine dazu passende Jacke, unter deren offen stehendem Reißverschluss ein weißes T-Shirt zu sehen war. Die Schuhe hatte sie abgestreift. Die Form ihres Fußes zeichnete sich im Staub an den Sohlen ihrer dicken, weißen Baumwollsocken ab. Sie schien sich nicht entscheiden zu können, was sie mit den Händen anfangen sollte. Schließlich verschränkte sie die Arme und versteckte die Finger, als wollte sie sie vor Erfrierungen schützen. »Warum kommen Sie zu mir?«
»Letzten Montag war ich im St. Terry’s und habe mit Penelope Delacorte gesprochen. Sie hat Ihren Namen erwähnt, also dachte ich, Sie könnten mir vielleicht ein paar offene Fragen beantworten. Darf ich Sie Tina nennen?«, fragte ich unvermittelt.
Sie hob
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