Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tödliche Gier

Tödliche Gier

Titel: Tödliche Gier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
Vom Netzwerk:
Pazifik verläuft und sich das Stückchen unregelmäßiges Gelände mit der Southern Pacific Railroad teilt. Trotz der Nähe zu den Güter- und Personenzügen, die zweimal täglich vorbeidonnern, werden manche Häuser dort zu Millionenbeträgen gehandelt, je nachdem, über wie viele Längenmeter das Anwesen an den Strand grenzt. Der Stil der Häuser variiert zwischen Pseudo-Cape-Cod über Pseudo-Tudor bis hin zu pseudo-mediterran und modern. Alle liegen so weit von der Bahnlinie entfernt wie möglich und so nah am Strand, wie es die Bauvorschriften des Bezirks gestatten. Crystal Purcells Grundstück war eines der wenigen ohne elektronisches Tor. Am Haus links neben ihrem hing ein diskretes »Zu verkaufen«-Schild, über dem ein Transparent mit der Aufschrift »Preis reduziert« klebte.
    Crystals Haus füllte das schmale Grundstück aus. Der Bau aus Glas und Zedernholz war schätzungsweise zwölf Meter breit und umfasste drei Stockwerke, wobei jede Etage strategisch so ausgerichtet war, dass man die Nachbarhäuser nicht sah. Zur Linken schützte ein offener Carport ein silbernes Audi-Cabrio und einen neuen weißen Volvo mit einem persönlichen Nummernschild, das die Aufschrift Crystal trug. Die letzte Lücke war leer. Vermutlich hatte dort Dow Purcell immer seinen Mercedes abgestellt. Zur Rechten war auf einer gekiesten Fläche, wo ich meinen leicht zerbeulten 1974er VW geparkt hatte, Platz für weitere drei Autos.
    Die rückwärtige Fassade des Hauses war kahl, eine fensterlose Wand verwitternden Holzes. Auf beiden Seiten der Tür stand je eine Reihe zehn Meter hoher Fächerpalmen in gewaltigen schwarzen Töpfen. Ich trottete über den Kies zur Haustür und klingelte. Die Frau, die mir öffnete, hielt ein breites Martiniglas am Rand fest. »Sie müssen Kinsey sein«, sagte sie. »Ich bin Anica Blackburn. Die meisten sagen Nica. Möchten Sie nicht reinkommen? Crystal war gerade beim Joggen. Sie wird gleich unten sein. Ich habe ihr gesagt, dass ich Ihnen aufmache, bevor ich nach Hause fahre.« Ihr dunkles, kastanienbraunes Haar war glatt nach hinten gegelt, und die Strähnen sahen so nass aus, als käme sie frisch aus der Dusche. Irgendwie dünstete ihre nach handgemachter französischer Seife duftende Haut eine kaum merkliche feuchte Hitze aus. Ihr Körper war schlank und aufrecht. Sie trug eine schwarze Seidenbluse, frisch gebügelte Jeans und keine Schuhe. Ihre nackten Füße waren lang und elegant.
    Ich trat in die Diele. Das Erdgeschoss wurde vom Eingang aus weiter und dehnte sich zu einem großen Raum aus, der die gesamte Breite des Hauses nutzte. Hohe Fenster gingen auf eine verwitterte Holzterrasse hinaus, auf der abgenutzte Segeltuchstühle standen, die zu einem Farbton irgendwo zwischen kitt und mausgrau verblichen waren. Die Böden waren aus blassem Holz und mit hellen Sisalteppichen bedeckt, die man vermutlich deshalb ausgewählt hatte, weil sie den Sand kaschierten, der vom Strand hereingetragen wurde. Alles andere in Sichtweite, von den Wänden über die Holzbalken bis zu den prallen Polstermöbeln mit ihren Bezügen aus zerknittertem Leinen, war so weiß wie Vollmilch.
    Hinter der Terrasse folgte ein etwa zehn Meter breiter Streifen verkümmerten Grases. Dahinter lag im Licht des Spätnachmittags kalt und unbarmherzig der Ozean. Das Wasser war perlgrau und wurde am Horizont dunkler, wo sich Wasser und Wolkendecke trafen und zu einer düsteren Masse verschmolzen. Die Brandung schlug monoton an den Strand. Wellen liefen auf den Sand und versickerten, kamen heran, zögerten und wogten wieder zurück. Drinnen, irgendwo über mir, konnte ich erhitzte Stimmen hören.
    »Halt bloss die Klappe! Das ist Schwachsinn. Du bist eine so fiese Nuss. Ich hasse dich...«
    Die Entgegnung war leise und gefasst, aber offenbar wirkungslos.
    Als Antwort erfolgten gekreischte Schimpfworte. Eine Tür knallte einmal zu und wurde dann erneut mit solcher Wucht zugedonnert, dass die Fenster erbebten.
    Ich warf Nica einen Blick zu. Sie wandte das Gesicht nach oben und betrachtete nachdenklich die Zimmerdecke. »Leila ist das Wochenende über zu Hause — Crystals Tochter. Sie ist vierzehn. Das ist erst das Vorgeplänkel. Glauben Sie mir, die Streitereien werden in den nächsten Stunden noch schlimmer. Bis Sonntag ist es zum totalen Krieg eskaliert, aber dann muss sie wieder ins Internat. Nächstes Wochenende fangen sie von vorne an, und so geht’s dahin.« Sie bedeutete mir, ihr zu folgen, ging in den großen Raum und setzte sich

Weitere Kostenlose Bücher