Tödliche Gier
bauschte sich wie ein Segel im auffrischenden Wind. Ihr Gesicht leuchtete auf, als sie mich sah. »Kinsey, alles gut. Hier ist für Henry«, sagte sie und ließ mich in die Tüte spähen.
Ich erwartete schon fast, junge Kätzchen zu erblicken als ich mich darüber beugte. »Was ist denn das? Ist das Abfall?«
Rosie verlagerte das Gewicht von einem Fuß auf den anderen und wich meinem Blick aus, eine Strategie, die sie einsetzt, wenn sie ein schlechtes Gewissen hat, ihr mulmig ist oder sie einen rücksichtslos zu manipulieren versucht. »Sind von mein Schwester Klotilde Arztrechnungen für Klinik und nachher. Henry wird erklären. Ich rein gar nix davon kapiere.« Rosie ist ohne weiteres im Stande, grammatikalisch korrekt zu sprechen. Sie macht nur dann ein Gemetzel aus Wortschatz und Satzbau, wenn sie hilflos wirken und einen auf diese Art dazu verleiten will, ihr einen wahnwitzigen Gefallen zu tun. Das trifft vor allem dann zu, wenn sie mit ihren Steuern kämpft, was ihr Henry die letzten sechs Jahre ohne zu murren abgenommen hat. Jetzt sagte sie verschmitzt: »Du helfen, hoffe ich. Er soll nicht alleine machen. Ist ungerecht.«
»Warum kann William nicht mithelfen? Ich habe keinen blassen Schimmer von dem Zeug.«
»Klotilde war Henry lieber.«
»Aber sie ist tot «, wandte ich ein.
»Bevor sie tot, ihr war lieber«, erklärte Rosie und lächelte scheu, als wäre damit die Sache besiegelt.
Ich sparte mir weitere Einwände. Schließlich war es Henrys Entscheidung, obwohl es mich massiv ärgerte, dass sie ihn ausnutzte. Die betreffende Klotilde war Rosies stets missgelaunte ältere Schwester gewesen. Ich hatte es nie geschafft, ihren ungarischen Nachnamen auszusprechen, der von Konsonanten und seltsamen Zeichen durchsetzt war. Sie hatte jahrelang an einer unklaren degenerativen Krankheit gelitten. Seit sie Mitte fünfzig war, hatte sie im Rollstuhl gesessen, geplagt von unzähligen weiteren Leiden, die Unmengen von Medikamenten und Krankenhausaufenthalten notwendig gemacht hatten. Schließlich hatte man ihr mit Mitte siebzig empfohlen, sich ein künstliches Hüftgelenk einsetzen zu lassen. Das war im April gewesen, vor gut sieben Monaten. Obwohl die Operation erfolgreich verlaufen war, war Klotilde über die Anforderungen der Rekonvaleszenz außer sich gewesen. Sie hatte alle Versuche abgelehnt, sie auf die Beine zu stellen, die Nahrung und die Benutzung einer Bettpfanne verweigert, Katheter und Ernährungsschläuche herausgezogen, ihre Pillen nach den Schwestern geworfen und die Physiotherapie sabotiert. Nach den üblichen fünf Tagen im Krankenhaus brachte man sie in ein Pflegeheim, wo sie im Laufe der folgenden Wochen zu verfallen begann. Schließlich starb sie an Lungenentzündung, Schluckbeschwerden, Mangelernährung und Nierenversagen. Rosie war nicht unbedingt am Boden zerstört gewesen, als sie »dahinschied«, »Hätte schon längst scheiden sollen«, erklärte sie. »Sie ist Nervensäge. So geht, wenn man sich nicht benimmt. Sie hätte tun sollen, was Doktor sagt. Hätte nie nicht Hilfe ablehnen sollen, wenn er besser weiß. Jetzt ich habe das und weiß nicht, was damit machen. Hier du nehmen.«
Nach Gewicht und Masse der Tüte zu urteilen, hatte sie ihrerseits eine Widerstandshaltung aufgebaut und die Unterlagen zu Bergen anwachsen lassen. Es würde Henry Wochen kosten, alles zu sortieren. Er kam aus seiner Hintertür und ging über den Innenhof auf uns zu, mittlerweile mit einem Flanellhemd und langen Hosen bekleidet.
»Ich muss mich beeilen«, sagte ich und stellte die Tüte auf den Boden.
Henry äugte hinein. »Ist das Abfall?«
Als ich meine Wohnung betrat, schleppte er die Tüte schon auf seine Küchentür zu und nickte mitfühlend, während Rosie zu einer ausführlichen Schilderung ihrer Notlage ansetzte.
Ich ließ meine Umhängetasche auf einen Küchenhocker fallen und drehte dann die Runde durch die Wohnung, um die Fenster zu schließen und zu sichern. Ich schaltete ein paar Lampen ein, damit mein Zuhause freundlich wirkte, wenn ich wiederkam. Anschließend ging ich nach oben und schlüpfte in einen frischen weißen Rollkragenpullover, den ich zu den Jeans trug. Ich zog meinen grauen Tweed-Blazer über, tauschte die Turnschuhe gegen schwarze Stiefel ein und musterte mich im Badezimmerspiegel. Die Wirkung war genau die erwartete: ein Tweed-Blazer mit Jeans. Ist für mich in Ordnung, dachte ich.
Die Paloma Lane ist eine schattige, zweispurige Straße, die zwischen dem Highway 101 und dem
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