Tödliche Gier
gefreut. Ich war schätzungsweise bis zehn Uhr hier. Das ist zwar nicht spät, aber ich war erledigt und wollte mich nach der Woche endlich entspannen.«
»Um welche Uhrzeit hat sie Dow erwartet?«
»Irgendwann nach neun. Das war seine normale Zeit, wenn er Überstunden machte. Ich nehme an, wenn man mit einem Arzt verheiratet ist, achtet man irgendwann nicht mehr auf die Uhr. Crystal war auf der Couch eingeschlafen. Sie rief mich um drei Uhr morgens an, nachdem sie aufgewacht war und gemerkt hatte, dass er noch nicht da war. Sie dachte, er sei erst spät gekommen und ins Gästezimmer gegangen, um sie nicht zu stören. Sie sah nach, und als sie feststellte, dass er dort nicht war, hat sie die Außenbeleuchtung eingeschaltet. Sein Wagen fehlte auch. Schließlich hat sie im Pflegeheim angerufen, wo man ihr sagte, dass er schon seit Stunden weg sei. Dann hat sie mich angerufen, und ich habe ihr geraten, die Polizei zu verständigen. Sie konnte aber frühestens nach zweiundsiebzig Stunden Vermisstenanzeige erstatten.«
»Was dachte sie? Wissen Sie noch, was sie gesagt hat?«
»Das Übliche. Autounfall, Herzinfarkt. Sie dachte, er sei vielleicht von der Polizei festgehalten worden.«
»Weswegen?«
»Alkohol am Steuer.«
»Er trinkt?«
»Ein bisschen. Dow trinkt immer ein paar Gläser Whiskey im Heim, wenn er Überstunden macht. Das ist seine Belohnung dafür, dass er weit über seine Pflicht hinaus Zeit aufwendet. Sie hat ihn gewarnt, danach noch zu fahren, aber er hat immer versichert, dass er sich bestens fühlt. Sie hatte Angst, er könnte von der Straße abgekommen sein.«
»Hat er Medikamente genommen?«
»He, wer nimmt in seinem Alter keine? Er ist neunundsechzig.«
»Was ist Ihnen durch den Kopf gegangen?«
Ein mattes Lächeln zog über ihre Miene. »Komisch, dass Sie das fragen. Ich habe an Fiona gedacht. Ich hatte es schon fast vergessen, aber das war es, was mir im ersten Moment in den Sinn kam, als ich davon hörte.«
»Was haben Sie über Fiona gedacht?«
»Dass sie endlich gewonnen hat. Das war ihr ganzes Sinnen und Trachten, seit er sie verlassen hat. Sie hat alles versucht, um ihn zurückzugewinnen, und alle Mittel eingesetzt.« Ich dachte, Nica würde weitersprechen, doch sie griff nach ihrem Glas, setzte es an den Mund und merkte erst zu spät, dass sie es schon ausgetrunken hatte. Sie rutschte auf der Couch ein Stück vor. »Ich muss gehen. Sagen Sie Crystal, ich bin bei mir drüben, wenn sie hier fertig ist.«
Sie stand auf und tappte zu den breiten Glastüren.
Ich sah ihr nach, wie sie die Terrasse überquerte, den Weg hinabschritt, in den Sand trat und verschwand. Aus dem hinteren Teil des Hauses hörte ich Badewasser laufen, einen Mann leise sprechen und dann ein quiekendes, kindliches Lachen, das von gefliesten Wänden widerhallte: der zweijährige Griffith mit seinem Betreuer Rand.
4
Solange ich allein war, nutzte ich die Zeit, um mich rasch im Haus umzusehen. Normalerweise ziehe ich, wenn sich die Gelegenheit ergibt, ein paar Schubladen auf, um die Post durchzusehen und vielleicht sogar einen Brief oder eine Kreditkartenabrechnung zu überfliegen. Es steckt ja so viel Information in unserer Korrespondenz, und genau deshalb sind diese lästigen Strafen für die Verletzung des Postgeheimnisses auch derart streng. Doch so sehr ich auch suchte, ich fand nichts Interessantes, also blieb mir nichts anderes übrig, als die Möbel zu bestaunen und zu versuchen, ihren Wert zu schätzen — nicht gerade eine Spezialität von mir. In der einen Ecke stand ein runder Tisch mit einer bodenlangen Tischdecke, umringt von vier Stühlen, von denen jeder ein identisches Kleidchen mit hinten gebundener Schleife trug. Ich hob einen Rock hoch und entdeckte einen gewöhnlichen Klappstuhl aus Metall. Der Tisch selbst bestand aus einer rohen Sperrholzplatte, die auf ein billiges Gestell montiert worden war. Er war eine Alltagsmetapher für vieles, was ich im Zuge meiner Arbeit zu sehen bekomme: Was oberflächlich betrachtet gut aussieht, entpuppt sich bei genauerer Betrachtung meist als Schrott.
An der Wand links von mir standen vom Boden bis zur Decke Bücherregale, an deren Mitte eine an einer Schiene befestigte Leiter stand. Bei näherem Hinsehen erkannte ich, dass die Bretter voller Liebesromane waren, verfasst von Autorinnen mit erfunden klingenden Namen. Ein frei stehender schwedischer Ofen sorgte an kalten Abenden für Wärme, ohne den Meerblick zu behindern. Ein langer, abgewinkelter Tresen
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