Tödliche Gier
bog seine steifen Beine gewaltsam um, bis er saß. Ich drückte ihm zwei hölzerne Buchstaben und einen halben Keks in die Hand, und auf der Stelle verstummte das Gebrüll. Er steckte sich den Keks in den Mund und hieb mit dem Buchstaben P auf die Plastikpolsterung unter sich ein. Ich stand auf und klopfte mir auf die Brust, während ich in die Küche ging, um zu sehen, was los war.
Blanche kam gerade mit dem vierjährigen Josh auf der Hüfte durch die Hintertür gerast. Seine Beine hingen ihr bis über die Knie hinab. Auf der Stirn hatte er eine Beule von der Größe eines Eis, und seine Oberlippe war voller Blut. Mit einer Hand befeuchtete sie ein Geschirrtuch, öffnete das Eisfach und nahm mehrere Eiswürfel heraus, die sie in das Tuch wickelte und ihm gegen den Kopf presste. Sie trug ihn ins Wohnzimmer und ließ sich auf einen Stuhl sinken. Sowie sie sich gesetzt hatte, arbeitete er sich durch eine Lasche in ihrer Bluse und begann zu saugen. Konsterniert wandte ich den Blick ab. Ich hatte gedacht, Kinder in seinem Alter hätte man mit Hilfe eines Zwölf-Schritte-Programms längst entwöhnt. Sie wies auf einen Stuhl in der Nähe und zollte ihm nicht die geringste Aufmerksamkeit, während er weiter an ihrer rechten Brust nuckelte.
Ich warf einen Blick auf den Stuhl und entfernte ein halb aufgegessenes Sandwich mit Erdnussbutter und Gelee, bevor ich mich auf der Kante niederließ. Joshs medizinischer Notfall verlieh offenbar allen Kindern die Berechtigung, der Kälte und der Dunkelheit draußen zu entfliehen. Im Handumdrehen dröhnte ein Zeichentrickfilm aus dem Fernseher. Heather und Amanda saßen im Schneidersitz auf dem Fußboden, und Josh gesellte sich kurz darauf zu ihnen, das Geschirrtuch mit den Eiswürfeln an den Kopf gedrückt.
Ich versuchte mich auf das zu konzentrieren, was Blanche sagte, doch das Einzige, woran ich denken konnte, war, dass eine Sterilisation vermutlich sogar in meinem Alter noch sinnvoll war.
8
Ich sah auf die Uhr, eine Geste, die ihr nicht entging.
»Ich weiß, dass Sie in Eile sind, also komme ich gleich auf den Punkt. Hat meine Mutter Sie über Crystals Vergangenheit informiert?«
»Ich weiß, dass sie Stripperin war, bevor sie Ihren Vater geheiratet hat.«
»Das meine ich nicht. Hat sie erwähnt, dass Crystals vierzehnjährige Tochter unehelich ist?«
Ich wartete und fragte mich, was das für eine Rolle spielen sollte. Ich beugte mich vor, nicht aus regem Interesse, sondern weil das Pfeifen, das Geknall und die hektische Musik aus dem Fernseher laut genug waren, um einen dauerhaften Hörschaden zu verursachen. Ich sah, wie sich Blanches Lippen bewegten, und baute mir zeitverzögert die Sätze zusammen wie bei Untertiteln in einem fremdsprachigen Film.
»Ich bin mir nicht einmal sicher, ob Crystal weiß, wer der Väter ist. Dann hat sie diesen Lloyd Sowieso geheiratet und von ihm ein zweites Kind gekriegt. Der Junge kam mit achtzehn Monaten ums Leben — er ist ertrunken. Das war vor vier oder fünf Jahren.«
Ich sah sie skeptisch an. »Und Sie glauben, das hat irgendetwas mit dem Verschwinden Ihres Vaters zu tun?«
Sie wirkte verblüfft. »Na ja, eigentlich nicht, aber Sie haben doch gesagt, Sie wollten sämtliche Fakten wissen. Ich wollte Ihr Bild abrunden, damit Sie wissen, womit Sie es zu tun haben.«
»Soll heißen?« Ein Werbespot setzte ein, und der Ton wurde noch eine Stufe lauter, damit die Kleinkinder auf der anderen Straßenseite nicht die Reklame für vitaminreiche Frühstücksflocken verpassten, die wie Lakritz aussehen und schmecken sollten.
»Kommt Ihnen Crystals Verhalten denn nicht merkwürdig vor?«
Mittlerweile las ich fast nur noch von den Lippen ab, und ihre Bemerkung war akustisch völlig an mir vorbeigegangen. »Blanche, könnten wir den Fernseher leiser stellen?«
»Entschuldigung.« Sie griff nach der Fernbedienung und stellte den Ton ab. Die Stille war himmlisch. Die Kinder blieben auf der Erde sitzen, vor dem Gerät versammelt wie um ein Lagerfeuer. Wilde Szenen tanzten über den Bildschirm, in ihrer Farbigkeit so lebhaft, dass sie noch nachwirkten, als ich den Blick schon abgewandt hatte.
Blanche kehrte zu ihrer Bemerkung zurück. »Ich weiß nicht, wie Sie es empfinden, aber Crystal scheint von den Ereignissen überhaupt nicht aufgewühlt zu sein. Sie ist absolut gelassen, was in meinen Augen nicht angebracht ist.«
»Es ist doch schon neun Wochen her. Ich glaube nicht, dass irgendjemand so lang aufgewühlt sein kann. Abwehrmechanismen
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