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Tödliche Gier

Tödliche Gier

Titel: Tödliche Gier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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informieren. Auf der ersten Ebene zogen sich Eichenböden aus breiten Brettern durch Wohnzimmer, Esszimmer, Fernsehzimmer, holzgetäfeltes Herrenzimmer und zwei Gästezimmer. Die obere Etage war komplett mit cremefarbenem Wollteppichboden ausgelegt: zwei große Schlafzimmer, jedes mit eigenem Bad, ein Fitnessraum und genug Schrankplatz für zehn. Das Haus wirkte wie ein Musterhaus in einem nagelneuen Wohngebiet, von Möbeln und Schnickschnack abgesehen. Einige der Räume standen leer, und die, in denen Möbel standen, wirkten trotzdem leer. Mir fiel auf, dass sich Tommy genau wie ich nicht mit vielen Dingen belastete — keine Kinder, keine Haustiere, keine Pflanzen. Im Fernsehzimmer gab es eine komplett ausgestattete Bar mit Spüle, zu viel schwarzes Leder und einen Großbildfernseher für Sportveranstaltungen. Ich sah weder Bilder noch Bücher, aber vielleicht waren die alle noch verpackt.
    In den Schlafzimmern war unübersehbar, dass sie ganze Einrichtungen aus den Ausstellungsräumen eines Möbelhauses gekauft hatten. Alles passte zusammen: helles Holz in Tommys Zimmer — der »moderne« Stil. In Richards Schlafzimmer waren Kopfteil, Kommode, Schrank und die beiden Nachttische schwer und dunkel, und die Möbel wirkten mit ihren schmiedeeisernen Beschlägen entfernt spanisch. Alles war perfekt geputzt, was vermutlich bedeutete, dass jede Woche eine Putzbrigade mit drei Leuten anrückte.
    Wir machten einen kompletten Rundgang und landeten schließlich wieder in der Küche. Uns war allen beiden bewusst, dass geraume Zeit vergangen war. Trotz seiner vorherigen Lässigkeit schien Tommy genau wie ich daran zu denken, dass Richard jeden Moment angefahren kommen könnte. Es war zwar erst in einigen Stunden mit ihm zu rechnen, aber ich konnte seine Gegenwart wie einen Geist in jedem Raum spüren. Tommy hatte kein Wort mehr über die abweisende Art seines Bruders verloren, und ich wollte auch nicht fragen. Die Spannungen zwischen ihnen mussten ja nicht unbedingt mit mir zu tun haben.
    Schließlich sagte Tommy in einem Anflug von Wagemut: »Möchten Sie etwas trinken?«
    »Ich glaube nicht, danke. Ich muss noch arbeiten. Und danke für den Rundgang. Das Haus ist wirklich großartig.«
    »Wir müssen noch einiges daran machen, aber uns gefällt’s. Sie müssten es mal bei Tag sehen. Die Gartenanlage ist herrlich.« Er sah auf die Uhr. »Jetzt bringe ich Sie lieber nach Hause.«
    Ich nahm meine Umhängetasche und folgte ihm. Während er das Haus abschloss, wartete ich im Wagen. Im begrenzten Raum des Porsches wurde mir das Knistern zwischen uns bewusst. Wir plauderten auf der Fahrt, aber angesichts meiner Schwäche für ihn war das nur aufgesetzt. Er fand einen Parkplatz in der Nähe von Rosie’s, einen halben Block von meiner Wohnung entfernt. Er parkte ein und kam dann erneut um den Wagen herum, um mich aussteigen zu lassen. Zur Unterstützung bot er mir seine Hand an, und ich wand mich mit so viel Anmut heraus, wie ich aufbringen konnte. Eigentlich müssten Sportwagen serienmäßig mit Schleudersitzen ausgestattet sein.
    Der Kneipenlärm aus Rosie’s war gedämpft, doch ich spürte den Kontrast zwischen dem rauen Getöse da drinnen und der Ruhe dort, wo wir standen. Der restliche Regen tropfte aus den umstehenden Bäumen, und das Wasser gurgelte durch die Rinnsteine wie ein städtischer Bach. Einen Augenblick lang standen wir da, und keiner von uns wusste, wie er sich verabschieden sollte. Tommy fasste wie beiläufig herüber und rückte die Metallschnalle vorn an meinem Regenmantel zurecht. »Sie sollen ja nicht nass werden. Kann ich Sie nach Hause begleiten?«
    »Ich wohne gleich da vorn. Man kann das Haus von hier aus fast sehen.«
    Er lächelte. »Ich weiß. Ich habe die Adresse aus Ihrem Antrag und bin vorhin dort vorbeigefahren. Sieht nett aus.«
    »Sie sind neugierig.«
    »Wenn’s um Sie geht«, meinte er.
    Er lächelte erneut, und ich ertappte mich dabei, wie ich wegsah. Wir sagten beide zugleich »also« und mussten lachen. Ich ging ein paar Schritte zurück und sah ihm zu, wie er die Tür öffnete und sich unters Lenkrad schob. Er schlug die Wagentür zu, und kurz darauf erwachte der Motor zum Leben. Die Scheinwerfer leuchteten auf, und er fuhr röhrend davon. Ich drehte mich um und ging bis zur Ecke, während das Geräusch seines Autos am Ende des Blocks verklang. Ich muss gestehen, dass sich mein Höschen warm und ein ganz klein wenig feucht anfühlte.

12

    Der Dienstagmorgen begann in einem Dunst aus

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